Die Bruderschaft der Woelfe
verdiene«, sagte Hoswell. »Weder Euren Respekt noch Eure Freundschaft. Ich fürchte, das werde ich auch nie.«
Myrrima versuchte, sich über ihre Gefühle klarzuwerden.
Gestern, als sie in Gefahr geraten war, hatte Gaborn sie mit Hilfe seiner Kräfte gewarnt. Jetzt verspürte sie keinerlei Angst und hörte keine Warnung. Dennoch traute sie dem Kerl nicht.
Ihr Herz klopfte, und sie beobachtete Sir Hoswell ganz genau.
Der Mann besaß Gaben des Stoffwechsels und hätte die
achtzig Meter in Sekundenschnelle zurücklegen können, allerdings nicht, bevor sie einen Pfeil abschoß. Sogar im Licht der Sterne konnte sie erkennen, daß sein Gesicht dort, wo Erins Hieb ihn getroffen hatte, noch immer verschwollen war.
»Verschwindet«, forderte Myrrima ihn auf, spannte den Bogen und zielte sorgfältig.
Sir Hoswell hielt seinen Bogen mitsamt Pfeil in die Höhe und musterte sie kühl. Er setzte ein anerkennendes Lächeln auf.
»Es ist nicht leicht, auf einen Menschen zu schießen, nicht wahr?« sagte er. »Eure Beherrschung ist bewundernswert. Ihr haltet den Atem an und habt eine ruhige Hand. Ihr würdet eine prächtige Meuchelmörderin abgeben.«
Myrrima erwiderte nichts. Auf seine Komplimente konnte sie verzichten.
»Ich zähle bis drei«, warnte sie.
»Beim Schießen in der Nacht«, erklärte er spöttisch, »sieht das ermüdete Auge die Dinge weiter entfernt. Haltet Euren Pfeil ein wenig tiefer, Myrrima, sonst trefft Ihr mich nicht.«
»Eins!« rief Myrrima und senkte den Pfeil ein winziges Stückchen tiefer.
»Na bitte«, lobte Hoswell. »Jetzt müßtet Ihr mich säuberlich durchbohren. Und jetzt übt das Schnellschießen. Wenn Ihr in einer offenen Feldschlacht nicht wenigstens fünfzehnmal pro Minute schießen könnt, seid Ihr kaum von Nutzen.«
»Zwei!« zählte sie kühl.
Myrrimas Finger schwitzten, und sie beschloß, den Pfeil loszulassen, als Sir Hoswell sich umdrehte und davonschlenderte.
»Wir stehen auf derselben Seite, Lady Borenson«, sagte er, ihr den Rücken zugewandt. Er war noch keinen Schritt gegangen, und Myrrima war nicht sicher, ob sie ihn
durchbohren sollte oder nicht. »Morgen abend stehen wir vielleicht Seite an Seite in der Schlacht.«
Myrrima antwortete nicht. Er blickte über seine Schulter und sah sie an.
»Drei!« sagte Myrrima.
Zögernd begann Sir Hoswell sich mit steifen Schritten zu entfernen. Sie hielt den Blick fest auf ihn gerichtet. Er machte zwanzig Schritte, dann blieb er stehen und rief laut über die Schulter: »Ihr hattet recht, Lady Borenson. Ich bin Euch heute abend hierher gefolgt. Ich bin gekommen, weil meine Ehre dies verlangt – oder vielleicht besser meine Unehrenhaftigkeit.
Ich bin gekommen, um mich zu entschuldigen. Ich habe etwas Widerwärtiges getan, und das tut mir leid.«
»Spart Euch Eure Entschuldigung. Ihr habt nur Angst, ich könnte meinem Gemahl davon erzählen«, sagte Myrrima.
»Oder dem König.«
Sir Hoswell drehte sich zu ihr um und hielt seine Waffen in die Höhe. »Erzählt es ihnen, wenn Ihr wollt«, sagte er. »Gut möglich, daß sie mich für das, was ich getan habe, umbringen, genau wie Ihr mich jetzt mit Leichtigkeit töten könnt. Mein Leben liegt in Eurer Hand.«
Allein die bloße Vorstellung, ihm zu vergeben, fand sie unerträglich. Sie wußte nicht, ob sie dazu in der Lage war. Da hätte sie auch Raj Ahten verzeihen können.
»Wie soll ich Euch je vertrauen?« fragte Myrrima.
Sir Hoswell, der seine Waffen immer noch so hielt, daß sie diese sehen konnte, zuckte leicht die Achseln. »So etwas wie vor zwei Tagen habe ich noch nie getan«, erklärte Sir Hoswell.
»Das war dumm und triebhaft – die Tat eines Narren. Ich fand Euch anmutig und hübsch und hoffte, Ihr würdet das gleiche Verlangen verspüren, das mich trieb. Das war ein schrecklicher Irrtum.
Aber ich kann ihn wiedergutmachen«, fuhr er entschlossen fort. »Mein Leben gehört Euch. Wenn Ihr morgen in die Schlacht zieht, werde ich an Eurer Seite reiten. Ich schwöre, solange ich lebe, werdet auch Ihr leben. Ich werde Euer Beschützer sein.«
Myrrima versuchte, sich über ihre Gefühle klarzuwerden.
Als sie gestern in Gefahr gewesen war, hatte Gaborn sie mit Hilfe seiner Erdkräfte gewarnt. Jetzt war seine Stimme nicht zu vernehmen. Sie empfand nur eine ganz natürliche, tiefsitzende Angst vor diesem Mann. Vermutlich meinte Sir Hoswell es mit seinem Angebot ernst. Sie wollte weder seine Entschuldigung noch seine Dienste, und am Ende hielt sie vielleicht nur ein
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