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Die Bruderschaft des Schmerzes

Die Bruderschaft des Schmerzes

Titel: Die Bruderschaft des Schmerzes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Spinrad
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ausgetauscht.
    Zur Hölle mit Willem und zur Hölle mit den Tieren, dachte Fraden. Ich habe an alles gedacht. Er sah hinab auf das in Papier gewickelte Bündel zu seinen Füßen: sein Brudergewand. Für den Plan war es nicht von entscheidender Bedeutung, doch wenn er es ins Spiel bringen konnte, daß die Töter vermutlich lieber einem lebendigen „Bruder Bart“ als den Befehlen ihrer toten Herren gehorchten, dann hatte er noch eine hübsche Karte im Ärmel. Der Mob würde an seinen Lippen hängen, und die einzige disziplinierte Streitmacht auf dem Planeten würde seinen Befehlen gehorchen. Armer Willem!
    Jetzt näherten sich die führenden Lastwagen Sade. Die Straße führte durch das Tierviertel, und der Lastwagen, auf dem sie saßen, fuhr durch eine breite Nebenstraße an schmutzigen, verödeten Hütten vorbei auf die Hauptstraße zu, die das Viertel mit dem Palast verband.
    Willem Vanderling schnitt eine Grimasse und umfaßte seine Schnittpistole mit beiden Händen.
    „Mir gefällt das nicht“, sagte er. „Es ist so verdammt still. Wo sind sie eigentlich alle?“
    Tatsächlich waren die Straßen völlig verlassen. Fraden konnte Frauen und Männer erkennen, die aus Hunderten von Hütten die Fahrzeugkolonne anstarrten. Hier und da waren ein Mann oder eine Frau zu sehen, die in einer Türe standen und wissend nickten, wenn die Lastwagen vorrüberrumpelten. Manche trugen ein Messer oder einen Knüppel, andere einen tuchumwickelten Stock, der sich in eine Fackel verwandeln ließ. Ein kleines, dünnes Kind, dessen Haut sich straff über die Rippen spannte, sprang hinter einem Schuppen hervor, verharrte einen Moment lang beobachtend auf der Straße, nahm dann hastig einen Knochen auf, der in der Gosse lag, und rannte wieder hinter den armseligen Schuppen.
    „Vielleicht hängt es mit diesem Schmerzenstag zusammen“, sagte Sophia. „Allein der Klang dieses Wortes gefällt mir nicht …“ Fraden preßte ihre Hand. Er hatte daran gedacht, sie in den ganzen Plan einzuweihen, aber es würde sie nur belasten. Wer noch niemals gespürt hatte, wie Menschenmassen sich unter der eigenen Stimme rührten, konnte auch nicht wissen, daß man den Mob geplant und kontrolliert einzusetzen vermochte.
    „Vermutlich hast du recht“, sagte er. Seine Worte waren eher auf Vanderling gezielt als auf Sophia. „Nach dem, was ich aus Olnay herausholen konnte, habe ich den Eindruck, daß die Tiere den Schmerzenstag genauso wichtig nehmen wie die Brüder. Ein hübsches Stück Psychologie von der Bruderschaft ist das. Biete den Tieren einmal im Jahr eine große Folterschau, laß sie die gleichen Dinge genießen, an denen sich die Brüder das ganze Jahr hindurch ergötzen, und schon denken sie nicht mehr, daß Moro und Genossen Ungeheuer sind, sondern glauben, sie seien genauso wie sie selbst, hätten eben nur mehr Glück gehabt. Wenn sie einen kleinen Vorgeschmack von diesen sadistischen Vergnügen bekommen und Gefallen daran finden, dann glauben sie nur um so fester an die sogenannte natürliche Ordnung. Das erinnert mich an diese drei Burschen, die sich darüber unterhalten, wie oft sie mit einer Frau schlafen. Der erste sagt: ‚Einmal in der Woche.’ Er sieht nicht sehr zufrieden dabei aus. Der zweite Bursche sagt: ‚Einmal am Tag.’ Er sieht total erschöpft aus. Der dritte: ‚Einmal im Jahr.’ Aber dabei macht er ein Gesicht wie die Katze, die gerade den Kanarienvogel verspeist hat. Als sie ihn fragen, warum er denn so strahlt, sagt er: ‚ Heute nacht ist es wieder soweit!’“
    Vanderling grunzte.
    Sophia sagte: „ Sehr komisch!“
    Die Lastwagen bogen auf die Hauptstraße von Sade ein. Jetzt fuhren sie an den strahlenden falschen Fassaden der stinkenden Hauptstadt von Sangre vorbei, an den Gebäuden mit Fassaden aus Kunstmarmor, Holz und Metall, die über die Quadratmeilen der Elendshütten hinwegtäuschen sollten.
    Sie ereichten den Hügel, auf dem sich der Palast erhob. Vor dem Haupttor in der mächtigen Betonmauer kamen sie zum Stehen. Fraden beobachtete, daß die Geschütztürme, die hier und da aus der Mauer ragten, besetzt waren, aber der Wehrgang, der Tausende von Männern faßte, war leer.
    Die Türflügel schwangen nach außen, und die Lastwagen rollten durch eine Doppelreihe von Tötern – es mochten fünfzig auf jeder Seite sein. Sie waren im inneren Bezirk des Palastes angekommen. Vanderling nickte, grinste Fraden zu, und Fraden grinste zurück. Nur einhundert Töter bewachten das Tor. Der zweite Innenhof war

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