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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Fremder innerhalb weniger Minuten rettungslos verirrt hätte.
    Die Kanus waren aus ausgehöhlten Baumstämmen gefertigt, deren Außenseite glatt abgeschliffen worden war, um den Widerstand des Wassers zu reduzieren, wie Oscar feststellen konnte, als er die Hand im Wasser über den Rumpf des Kanus gleiten ließ. Sie passierten mehrere Flusspferdfamilien, die keinerlei Anstalten machten, anzugreifen. Hier und da lagen Krokodile in der untergehenden Sonne an den Ufern. Auch sie schienen von den vorbeigleitenden Menschen keine Notiz zu nehmen. Die Sonne nahm in Höhe der Baumwipfel die Form einer roten Kugel an. In zwanzig Minuten würde es stockdunkel sein, und man würde sich in dem Labyrinth aus Inseln und Inselchen nicht mehr orientieren können.
    Als die Dunkelheit über sie hereinbrach, waren große Feuer in der Ferne zu erkennen. Kurz darauf näherten sie sich einer großen Insel mit einer Palisade, die ein ganzes Dorf zu umschließen schien. Die Feuer, die in Eisenschalen an dem Bollwerk angebracht waren, spiegelten sich in dem vollkommen schwarzen Wasser. Nur mit Mühe konnte man die Öffnung zwischen zwei Torflügeln erkennen.
    Die Kanus glitten durch die Öffnung, dann wurden die Flügel zugezogen. Sie befanden sich nun in einem Hafen, in dem Hunderte festlich gekleideter Menschen warteten, die bereits zu singen begonnen hatten.
    Als die Kanus angelegt hatten, wurden die Gäste von starken Armen an Land gehoben und samt Gepäck zu einem Haupthaus oberhalb des Hafens getragen. Die Fassade war mit gebleichten Büffelschädeln dekoriert. In der Mitte fand sich ein vier Meter hohes Portal, das mit einer Vielzahl von Reliefs und Skulpturen geschmückt war, die Menschen, vermutlich Ahnen, Tiere und Fantasiewesen, die nichts anderes als Geisterwesen sein konnten, darstellten. Zwischen zwei Reihen von Tänzern, die einen Kopfschmuck aus langem weißen Haar hin und her warfen, wurden sie zum Tor getragen, das sich vor ihnen öffnete. Er wurde mit Kadimba und Hassan Heinrich in einen großen Saal getragen, in dem die Königin auf einem hohen, reich mit Ebenholzskulpturen geschmückten Thron saß, der von zwei riesigen Elefantenstoßzähnen flankiert wurde. Sie trug ein Gewand, das aus indischer Seide zu bestehen schien, und ebenso überraschend eine Goldkrone. Sie sah uralt aus, ihr genaues Alter war jedoch unmöglich zu schätzen. Aber sie war noch im Besitz ihrer Zähne, denn ihr weißes Lächeln leuchtete im Dunkel.
    Vor ihrem Thron lagen drei Sitzkissen arabischen Typs, mit arabischen Schriftzeichen geschmückt, wie Oscar feststellte, als er und seine beiden Begleiter abgesetzt wurden. Der Gesang im Saal schwoll zu einem zitternden Crescendo an.
    Dann wurde es schlagartig still. Die Königin betrachtete ihre Gäste, aber vielleicht waren sie ja auch ihre Gefangenen, und machte keinerlei Anstalten, etwas zu sagen. Oscar sah sich verstohlen um. Alle mit Speeren bewaffneten Männer um ihn herum standen reglos da wie Skulpturen aus Ebenholz. Für gewöhnlich pflegten Gastgeber Willkommensworte an ihre Gäste zu richten. Wenn sie nichts sagt, was mache ich dann?, überlegte Oscar nervös.
    Die Königin schwieg, kein Mensch im Saal regte sich oder verzog eine Miene. Oscar schwitzte unter seiner grauen Uniformjacke.
    »Königin Mukawanga«, begann er mit leiser Stimme und musste sich räuspern, ehe er fortfahren konnte. »Es ehrt uns drei Eisenbahnbauer aus der großen Stadt Daressalam, als Ihre Gäste hierherkommen zu dürfen. Entschuldigen Sie, aber darf ich Swahili sprechen?«
    Königin Mukawanga starrte ihn verdutzt an, als hätte sie seine Frage nicht verstanden.
    »Verehrter Gast und Eisenbahnbauer«, erwiderte sie ruhig, und ihre Stimme war fast so tief wie die eines Mannes. »Ihr könnt mit mir Swahili, Arabisch oder Englisch sprechen. Aber Ihr Swahili ist gut. Ich freue mich über Ihren Besuch.«
    Oscar vermutete, dass nun der Zeitpunkt für die geschäftlichen Verhandlungen gekommen war, da die Königin nicht weitersprach. Aber da er nicht wusste, wie das
Treffen verlaufen würde, hatte er keinen Plan. Er unternahm einen Versuch auf gut Glück.
    »Der Bau der Eisenbahn zwischen dem Meer und dem großen See ist fast abgeschlossen«, begann er. »Eine Reise, die früher zwei oder drei Monate gedauert hat, lässt sich nun in zwei Tagen bewältigen. Ihr Volk wird selbstverständlich kostenlos mit dieser Eisenbahn reisen. Denn es ist auch Ihre Eisenbahn, eine Gabe meines Volkes aus dem hohen Norden, viel nördlicher

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