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Die Brueder des Kreuzes

Die Brueder des Kreuzes

Titel: Die Brueder des Kreuzes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Whyte
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Bordwand saßen oder lagen.
    Sir Henry lächelte schwach und nickte vor sich hin. Dies war eindeutig der Moment, abzuwarten und sich in Geduld zu üben, denn keiner von ihnen konnte Einfluss darauf nehmen, wie lange Gott vorhatte, den Atem anzuhalten.
    Dieser Karfreitag wurde der längste Tag, den Sir Henry je erlebt hatte, denn in der drangvollen Enge des winzigen Schiffs gab es nichts, was er hätte tun können, um sich von seiner erzwungenen Untätigkeit abzulenken. Er döste ein wenig, doch bald wurde er selbst dieser Beschäftigung müde, und schließlich fühlte er sich so gelangweilt, dass er es als willkommene Abwechslung empfand, als etwa eine Stunde nach Mittag die drei Bischöfe, die auf dem Schiff mitreisten, mit ihren Ministranten auf das Achterdeck traten und mit der Karfreitagsmesse begannen.
    Natürlich konnten nicht alle Mann an Bord dem Gottesdienst gleichzeitig beiwohnen, doch einige der Offiziere entwickelten rasch einen Plan, der es den Männern ermöglichte, in Gruppen zu jeweils zwanzig an Deck zu kommen, dort eine Viertelstunde zu beten, die Kommunion zu empfangen und Gottes frische Luft zu atmen, bevor sie in ihre beengten Quartiere zurückkehrten.
    Wie Montagnard es vorhergesagt hatte, erhoben sich bald darauf überall Stimmen zum Gebet und zum Gesang. Manche kamen deutlich von bestimmten Schiffen, während andere nur Vibrationen in der Luft waren und ätherisch aus der Ferne herüberhallten.
    Dann senkte sich in der dritten Stunde nach Mittag Schweigen über das Meer, ein Schweigen so tief wie die Stille, die sie in der Morgendämmerung umgeben hatte. Jesus war tot, und die Welt würde in spiritueller Dunkelheit verharren, bis am Morgen des dritten Tages die Auferstehung Erlösung für alle verhieß.
    Ein kleiner Windstoß kitzelte das Haar in Sir Henrys Nacken. Er war wieder eingedöst, während er an der Spitze des Decks an der Reling lehnte, und das erste Lüftchen, das sich an diesem Tag regte, ließ ihn blitzartig hellwach werden. Er fuhr auf und fragte sich, was geschehen war.
    Dann hörte er, wie sich hinter ihm Stimmen erhoben und hämmernde Schritte über das Deck rannten. Jemand schob ihn unsanft beiseite, um sich an seinen Platz zu stellen. Der Mann beugte sich angespannt vor und spähte geradeaus zum Horizont. Dann knurrte er einen Fluch, fuhr herum und rannte zum Achterdeck, wo er nach dem Kapitän rief. Henry sah ihm nach – wie alle anderen an Deck auch – und wandte sich dann zurück, um nachzusehen, was die heftige Reaktion des Mannes ausgelöst hatte.
    Das Einzige, was er sehen konnte, war etwas, das wie eine leichte Verdunkelung direkt über dem Horizont aussah, als hätte jemand mit einem Holzkohlestift einen unebenen Strich über die Linie gezogen, die Wasser und Himmel trennte. Er kniff die Augen zusammen und sah genauer hin – und hatte einen Moment lang den Eindruck, der verwischte Strich sei purpurn.
    Er konnte keine Regung der Luft mehr spüren, und die Stille war wieder so tief wie zuvor. Dann setzte sich auf einem der Schiffe vor ihnen hoch auf einem Mast eine Flagge klatschend in Bewegung und schlug einige Male hin und her, bevor sie wieder erschlaffte.
    Sir Henry spürte, wie sein Herz heftiger zu schlagen begann, und in seinen Eingeweiden regte sich ein dumpfes Gefühl der Nervosität. Irgendetwas war im Anmarsch, das wusste er, und das Rufen, das sich nun in seinem Rücken erhob, bestätigte sein Gefühl.
    Die purpurne Linie am Horizont wurde breiter, und bald war sie als herannahende Wolkenbank zu erkennen. Erneut fegte ein Windstoß über das Schiff hinweg und erstarb, doch wenige Minuten später folgte der nächste, der kräftiger war und länger anhielt. Henry sah schweigend zu, wie drei Seeleute das Segel refften, den Quermast herunterließen und das Segel daran festbanden, bevor sie den Quermast fest mit dem Mast verschnürten.
    Sekunden später ballte sich sein Magen zusammen, als er sah, wie der Trommler seinen Posten in der Mitte des Schiffs bezog und sich die Ruderer auf ihre Plätze setzten, sieben auf jeder Seite, und auf sein Signal warteten. Schließlich kam das Signal, und die Männer machten sich ans Werk und zogen das Schiff rhythmisch aus seiner Reglosigkeit, bis es sich quälend langsam in Bewegung setzte. Danach nahm seine Geschwindigkeit rapide zu, und den Ruderern schien die Arbeit leichter zu fallen.
    Henry fiel eine Bewegung auf dem Achterdeck ins Auge, und als er den Kopf dorthin richtete, sah er Richard selbst in voller Rüstung

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