Die Brueder des Kreuzes
kameradschaftlichem Schweigen, ein jeder in seine eigenen Gedanken versunken. Sinclair dachte über die unwahrscheinlichen Umstände nach, die ihn an diesen Punkt geführt hatten, an dem er in aller Seelenruhe eine Mahlzeit mit einem Fremden teilte, den er unter anderen Umständen sofort zu töten versucht hätte. Er fragte sich, ob sein schweigender Gefährte wohl das Gleiche dachte, doch dann fiel ihm die verhüllte Drohung wieder ein, die er in der Frage über die Tempelritter wahrgenommen hatte, und er wurde ernst.
Sinclair wusste nicht, ob seine vorsichtige Antwort notwendig gewesen war, genauso wie seine Entscheidung zu verheimlichen, dass er Arabisch konnte, aber er hatte das Gefühl, das Richtige getan zu haben.
Natürlich war er ein Tempelritter, und er vermutete, dass der Sarazene dafür nur wenig Beifall übrig gehabt hätte. Doch Alexander Sinclair hatte noch viel mehr zu verbergen als die bloße Zugehörigkeit zum Orden des Tempels, und er war mit gutem Grund zurückhaltend.
Sinclair war ein ranghohes Mitglied der Bruderschaft von Sion, jenes geheimen Bundes innerhalb des Tempels, der zu Beginn des Jahrhunderts den Ritterorden gegründet hatte, um seine eigenen Zwecke zu verfolgen, und der nach wie vor die Ordenspolitik bestimmte. Diese Bruderschaft war so geheim, dass die einfachen Ordensmitglieder nicht einmal etwas von seiner Existenz ahnten, geschweige denn von seinem Tun. Es gab zwar viele ranghohe Ordensoffiziere, die auch der Bruderschaft angehörten, doch viele ihnen ebenbürtige Brüder lebten und starben, ohne je ein Wort von der Bruderschaft gehört zu haben. Der bedeutendste unter den Letzteren war Gerard de Ridefort, der derzeitige Großmeister des Tempels, der zwar wegen seines Mutes, seines militärischen Könnens und seiner großen Kühnheit geschätzt wurde, der jedoch wegen seines Stolzes und seiner starrköpfigen Arroganz für unwürdig befunden worden war, der Bruderschaft beizutreten.
Die Mitgliedschaft in der Bruderschaft von Sion wurde niemals leichtfertig vergeben. Es gab nur wenige Brüder, die alle ein Schweigegelübde ablegen mussten, und sie trafen nur selten in ihrer vollen Zahl zusammen. Wenn es Zusammenkünfte gab, so fanden sie stets unter dem Deckmantel traditioneller Festlichkeiten statt und wurden an geheimen, privaten Örtlichkeiten im Besitz der Bruderschaftsoberen abgehalten.
Dort versammelten sich die Brüder mit ihren Freunden und Verwandten, und während zu ebener Erde in den Räumlichkeiten der Gastgeber gefeiert wurde, kam die Bruderschaft in unterirdischen Kammern zusammen, um ihre eigenen geheimen Initiationsriten und Unterweisungen zu begehen, ohne dass die anderen Feiernden etwas davon ahnten.
Man sah den Mitgliedern ihre Zugehörigkeit zur Bruderschaft nicht an, und wenn es etwas gab, das sie alle gemeinsam hatten, so war dies ein Element, das kein Uneingeweihter jemals wahrgenommen hätte. Jeder Einzelne von ihnen entstammte einer Verbindung von Familienclans, die sie untereinander als die Befreundeten Familien bezeichneten. All diese Familien lebten in jener Gegend in Südfrankreich, die man nach der uralten Sprache ihrer Einwohner Languedoc nannte – »die Gegend, in der man Oc spricht«. Dieser Familienverbund war über ein Jahrtausend alt und ging auf das erste Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung zurück. Damals hatten sich die Begründer der Clans gemeinsam in Südgallien niedergelassen, nachdem sie im Jahr 79 nach der Zerstörung Jerusalems durch die Römer auf dem Landweg geflohen waren.
Ihre gemeinsamen jüdischen Wurzeln waren das größte Geheimnis der Bruderschaft, deren Familien sich nach ihrer Ankunft an die örtlichen Gegebenheiten angepasst hatten und zum Christentum übergetreten waren – und ihren semitischen Ursprung vergessen hatten. Nur die Eingeweihten der uralten Bruderschaft der Wiedergeburt in Sion kannten die Wahrheit, die im Geheimen von Generation zu Generation weitergereicht worden war. Sie allein schulterten die große Verantwortung, die mit diesem Wissen einherging – geschützt durch das unumstößliche Gebot, dass aus jeder Generation der Familien nur ein einziges männliches Mitglied initiiert werden konnte.
Sir Alexander Sinclair war unter sieben Brüdern einer Familie auserwählt worden, die keine Töchter hervorgebracht hatte, und er war an seinem zwanzigsten Geburtstag in die Bruderschaft aufgenommen worden. All seine Brüder hatten inzwischen das Mannesalter erreicht; zwei waren Tempelritter und einer
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