Die Bücher und das Paradies
unserer Sprachen, die
natürliche Unvollkommenheit unserer Idiome nicht die
Krankheit nach Babel darstellt, von der die Menschheit
genesen muß, sondern die einzigartige Chance und
Gelegenheit, die Gott dem Adam als sprechendem Tier
gegeben hatte. Das Wesen der menschlichen Sprachen zu
verstehen, die zwar unvollkommen sind, aber zugleich
imstande, jene höchste Unvollkommenheit zu verwirk-
lichen, die wir Poesie nennen, stellt die einzige Schluß-
folgerung jeder Suche nach Vollkommenheit dar. Babel
war kein Unfall gewesen, wir leben seit jeher im Innern
des Turms, der erste Dialog zwischen Gott und Adam ist
vielleicht auf Finneganesisch geführt worden, und nur 132
indem wir nach Babel zurückkehren und unsere einzige
Möglichkeit akzeptieren, können wir unseren Frieden
finden und dem Schicksal der menschlichen Gattung ins
Auge sehen.
Angefangen hat diese ganze Geschichte in Dublin, als
ein kleiner Junge sich von den Bildern im Book of Kells
hat fesseln lassen, und vielleicht von denen der Bücher
von Durrow , von Lindisfarne , von Dun Cow …
»Once upon the time there was a Dun Cow coming
down along the maze and this Dun Cow that was coming
down along the maze met a nicens little boy named baby
Jim the bachelor …«
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Zwischen La Mancha und Babel1
Es kommt mir sehr gelegen, in meiner Danksagung an die
hiesige Universität für die mir verliehene Ehre, daß diese
Veranstaltung gerade hier in der Mancha und während der
Tage stattfindet, in denen wir Jorge Luis Borges feiern.2
Denn es gab und gibt vielleicht immer noch in dieser
Gegend an einem Ort, dessen Namen man uns nicht hat
nennen wollen, eine Bibliothek. Diese Bibliothek, die
lediglich eine große Zahl von Ritterromanen enthielt, war
eine Bibliothek, die man verlassen kann . Tatsächlich
beginnt ja die Geschichte des göttlichen Don Quijote
genau in dem Moment, da er beschließt, den Ort seiner
Phantastereien über Büchern zu verlassen, um sich ins
Leben hinauszuwagen. Das tut er jedoch, weil er im
Grunde überzeugt ist, in jenen Büchern die Wahrheit
gefunden zu haben, so daß es genügen würde, sie
nachzuahmen und die darin geschilderten großen Taten zu
reproduzieren.
Dreihundertfünfzig Jahre später erzählt uns Borges die
Geschichte einer Bibliothek, die man nicht verlassen kann
und in der die Suche nach dem wahren Wort ohne Ende
und hoffnungslos ist.
1 Vortrag am 22. Mai 1997 in der Universität von Kastilien-La Mancha anläßlich der Verleihung einer Ehrendoktorwürde.
2 Zur selben Zeit fand in der Universität von Kastilien-La Mancha ein mehrtägiger Kongreß über »Literarische Beziehungen
zwischen Jorge Luis Borges und Umberto Eco« statt, vgl. dazu den folgenden Aufsatz.
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Zwischen diesen beiden Bibliotheken gibt es eine tiefe
Entsprechung: Don Quijote versucht, in der Welt draußen
Taten, Abenteuer und edle Damen zu finden, die seine
Bibliothek ihm versprochen hat; folglich will und glaubt
er, das Universum sei wie seine Bibliothek. Borges,
weniger idealistisch, beschließt, daß seine Bibliothek wie
das Universum sein soll, und darum sieht er keine
Notwendigkeit, sie zu verlassen. Wie man nicht sagen
kann: »Haltet die Welt an, ich will aussteigen«, so kann
man auch nicht aus seiner Bibliothek hinaus.
Es gibt viele Geschichten von Bibliotheken. Es gibt
verlorene Bibliotheken wie die von Alexandria, und es
gibt Bibliotheken, die man, kaum eingetreten, gleich
wieder verläßt, weil man feststellt, daß sie nur lauter
absurde Geschichten und Ideen enthalten. So etwa die
Bibliothek von Saint-Victor, in der Pantagruel, einige
Jahrzehnte vor Don Quijotes Geburt, sich an den
zahlreichen Büchern ergötzt, die ihm die Weisheit der
Jahrhunderte versprechen, die er jedoch, soweit wir
wissen, rasch wieder verläßt, um sich anderen Dingen
zuzuwenden. So daß uns nur die Neugier und das
Verlangen geblieben ist, zu wissen, wovon jene Bücher
handeln mochten, und das Vergnügen, ihre Titel wie eine
Liturgie zu rezitieren: Bragueta juris, De babuinis et
scimiis cum commento Dorbellis, Ars boneste petandi in
societate, Formicarium Artium, De modo cacandi, De
differentiis supparum, De optimitate triparum, Quaestio
subtilissima. utrum chimera in vacno bombinans possit
comedere secundas intentiones, De baloccamentis
principium, Baloccatorium Sorboniformium, Campi
clysteriorum, Antidotarium animae, De patria
diabolorum …
Aus der Bibliothek von Rabelais wie aus der
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