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Die Bücher und das Paradies

Die Bücher und das Paradies

Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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    Cervantes können wir einzelne Titel zitieren, denn es
    135
    waren endliche Bibliotheken, begrenzt durch das
    Universum, von dem sie handelten, die eine durch das von
    Roncesvalles, die andere durch das der Sorbonne. Aus der
    Bibliothek von Borges können wir keine Titel zitieren,
    denn die Zahl ihrer Bücher ist unendlich, und mehr als
    deren Inhalt interessiert uns das Format der Bibliothek.
    Bibliotheken von Babel sind auch schon vor Borges
    erdacht worden. Zu den Eigenschaften der von Borges
    erdachten gehört nicht nur, daß sie unzählige Bücher in
    einer unendlichen Flucht periodisch wiederkehrender
    Räume enthält, sondern auch, daß sie Bände vorweisen
    kann, die alle nur möglichen Kombinationen von
    fünfundzwanzig orthographischen Symbolen enthalten, so
    daß keine Buchstabenkombination vorstellbar ist, welche
    die Bibliothek nicht vorausgesehen hat.
    Dies war der uralte Traum der Kabbalisten, denn nur
    durch unendliches Kombinieren einer endlichen Reihe von
    Zeichen konnte man hoffen, eines Tages den geheimen
    Namen Gottes zu formulieren. Und wenn ich hier nicht,
    wie mancher vielleicht erwartet, die drehbaren Scheiben
    des Raimundus Lullus zitiere, dann deshalb, weil er mit
    ihnen zwar eine astronomische Zahl von Sätzen
    generieren, davon aber nur die wahren behalten und die
    anderen verwerfen wollte. Doch als man die Scheiben des
    Lullus und die kombinatorische Utopie der Kabbalisten im
    17. Jahrhundert zusammenbrachte, hoffte man außer dem
    Namen Gottes auch den jedes Menschen auf der Welt zu
    nennen und so dem Fluch der Sprache zu entgehen, die
    uns zwingt, Individuen durch allgemeine Begriffe zu
    bezeichnen, haecceitates durch quidditates , so daß wir stets – wie die Menschen des Mittelalters – einen bitteren
    Geschmack wegen der penuria nominum im Munde
    behalten.
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    Deswegen hat Georg Philipp Harsdörffer in Mathe-
    matische und philosophische Erquickstunden (1651) vor-
    geschlagen, 264 sprachliche Einheiten (Präfixe, Suffixe,
    Buchstaben und Silben) auf fünf drehbare Scheiben zu
    verteilen, um durch deren Kombination 97
    209
    600
    deutsche Wörter zu erzeugen, einschließlich aller nicht
    existierenden. Der Mathematiker Christoph Clavius hat
    berechnet ( In Spheram Ioannis de Sacro Bosco , 1607), wie viele Termini mit den 23 Buchstaben des Alphabets –
    damals machte man keinen Unterschied zwischen u und
    v – produziert werden könnten, wenn man die Buchstaben in Gruppen von zwei und zwei, drei und drei und so weiter
    kombinierte, bis man zu »Wörtern« mit 23 verschiedenen
    Buchstaben gelangt. Sein Kollege Pierre Guldin
    ( Problema arithmeticum de rerum combinationibus , 1622) hat die Gesamtzahl aller mit 23 Buchstaben generierbaren
    Wörter zwischen zwei und 23 Buchstaben berechnet,
    unabhängig davon, ob sie einen Sinn haben oder nicht,
    und kam auf mehr als siebzigtausend Milliarden
    Milliarden solcher Wörter; um sie in Registerbücher von
    je tausend Seiten zu schreiben, die Seite mit 100 Zeilen zu
    je 60 Buchstaben, bräuchte man 257 Millionen Milliarden
    solcher Bücher, und um diese Bücher aufzustellen,
    brauchte man 8 052 122 350 Bibliotheken, jede mit 432
    mal 432 Fuß Seitenlänge. Pater Mersenne, der außer den
    Wörtern auch die »Gesänge« mit in Betracht zog, also die
    musikalischen Sequenzen, hat errechnet ( Harmonie
    universelle , 1636), daß die Anzahl der mit 22 Tönen
    generierbaren Tonfolgen fast Zwölftausend Milliarden
    Milliarden beträgt
    – und daß, wollte man sie alle
    aufschreiben, man dafür bei tausend pro Tag annähernd
    dreiundzwanzig Millionen Jahre bräuchte.
    Gerade um sich über solche mathematisch-kombina-
    torischen Träume lustig zu machen, hat Jonathan Swift
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    seine Anti-Bibliothek vorgeschlagen, will sagen: eine
    perfekte, wissenschaftliche, universale Sprache, in der
    man keine Bücher, keine Wörter und keine alphabetischen
    Zeichen mehr brauchen würde:
    Alsdann begaben wir uns in die Fakultät für Sprachen, wo drei
    Professoren darüber berieten, die Sprache ihres eigenen Landes zu verbessern. Das erste Projekt bestand darin, die Rede zu verkürzen, indem man vielsilbige Wörter zu einsilbigen beschneidet und Verben und Partizipien wegläßt, da alle vorstellbaren Dinge in Wirklichkeit ja nur Hauptwörter sind. Das zweite war ein Projekt zur völligen Abschaffung aller Wörter überhaupt, und dies wurde als ein großer Vorteil sowohl im Hinblick auf die Gesundheit als auch auf die Kürze hingestellt. Denn es liegt auf

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