Die Büro-Alltags-Bibel
Dunkelziffer dürfte weit darüber liegen. Denn zwischen 13 und 15 Uhr kommt das Leistungsloch. Erst gähnen wir um die Wette, dann tritt dieser bleierne Zustand ein, in dem der Bewegungsapparat erlahmt, als würden wir durch Zement stapfen, und sich die Oberstube anfühlt wie in Watte gewickelt. Weil das Phänomen so weit verbreitet ist, hat es gleich mehrere Namen:
Schnitzelkoma
zum Beispiel oder
Fressnarkose
oder international:
Post-Lunch-Dip.
Dagegen kann man gar nichts machen. Blutdruck und Körpertemperatur sacken dann einfach weg. Sogar unser Gehirn braucht eine Pause.
Bisher haben Wissenschaftler immer angenommen, die Müdigkeit sei eine Folge allgemeiner Ermattung durch die lästigen Routinen des Alltags. Konferenzen, Projektbesprechungen, Präsentationen – egal, mit welchen eintönigen und wiederkehrenden Tätigkeiten wir den Vormittag verbringen, irgendwann ist Feierabend, dann sind wir so eingelullt und cremig, dass nichts mehr geht. Aber diese Annahme ist falsch. Als Forscher des National Institute of Mental Health und ihre Kollegen von der Harvard-Universität ein paar Experimente dazu machten, entdeckten sie: Durch wiederkehrende visuelle Eindrücke und zahlreiche Informationen ist unser Gehirn irgendwann schlicht übersättigt und zur weiteren Datenverarbeitung nicht mehr fähig. Vergleichen lässt sich das am ehesten mit einem Computerprozessor, der zu viele Jobs auf einmal abarbeiten muss. Irgendwann wird der Rechner immer langsamerund langsamer, bis die Datenspeicher wieder aufgeräumt und frei sind – oder das Betriebssystem abstürzt. In dem Experiment selbst sah das freilich etwas anders aus: Die Probanden mussten mehrere schwierige Sehtests absolvieren, wobei ihr Tag in vier längere Testphasen unterteilt wurde. Dabei nahmen ihre Leistungen kontinuierlich ab. Erst nachdem manche zwischen der zweiten und dritten Phase eine halbe Stunde schlafen durften, sank ihre Leistung nicht weiter. Wer hingegen eine Stunde Pause machen durfte, erreichte in der darauf folgenden Übung schon wieder das Niveau der ersten, was dann sogar bis zur vierten Phase anhielt.
Mit anderen Worten: Wer nachmittags kurz mal einnickt, nutzt damit im Prinzip nur einen ohnehin toten Zeitraum aus – den aber höchst effektiv. Zwar könnten wir uns auch zusammenreißen und gegen die Natur ankämpfen, aber das rächt sich: durch noch mehr Gähnen, mehr Fehler, langsameres Tempo und mehr Unfälle. Statistisch lässt sich nachweisen, dass die Zahl der übermüdungsbedingten Verkehrsunfälle nachmittags deutlich ansteigt. Mit Kaffee lässt sich diese Mittagsmattheit zwar kurzfristig vertreiben. Sobald die aufputschende Wirkung aber nachlässt, fühlt man sich noch müder.
An der Stelle muss allerdings gesagt werden, dass Gähnen nicht zwangsläufig ein Zeichen von Müdigkeit ist. Manche Menschen gähnen allein, um Anspannung abzubauen: Olympioniken zum Beispiel gähnen sehr häufig, kurz bevor die Startpistole knallt. Aber auch Kampffische tun das, bevor sie angreifen. Den Juwelen-Riffbarsch (er hört auch auf den Namen
Microspathodon chrysurus
) kann man etwa damit ärgern, dass man ihm die Attrappe eines Artgenossen vor die Flossen stellt. Dann verharrt der aggressive Barsch zunächst regungslos, bis er so richtig sauer wird, sein Maul öffnet und den Eindringling mehrfach angähnt. Es ist nicht bekannt, ob Barsche Mundgeruch haben. Aber hässlich sieht das in jedem Fall aus.
Heute geht man jedoch davon aus, dass Gähnen in erster Linie eine soziale Funktion hat. Wie etwa bei vielen Affenarten. Gähnt einer, meist das Alpha-Tier, dann heißt das für den Rest der Horde: Schlafen gehen! Forscher vermuten, dass Gähnen aus diesem Grund auch so ansteckend wirkt, allen voran der Psychologe Robert Provine von der Universität in Baltimore. Er zeigte Probandeneinen gähntechnisch veränderten Film mit 30 schnarchigen Sequenzen. Mehr als die Hälfte gähnte schon nach wenigen Sekunden (ich vermute, es war
Titanic
), die anderen Probanden fünf Minuten später (was wiederum für
Dirty Dancing
spricht). Nur von gähnenden Zeichentrickgesichtern ließ sich niemand mitreißen (womit
Garfield
ausscheidet). Die Ansteckungsgefahr beim Gähnen ist derart groß, dass allein schon der Gedanke daran, während Sie zum Beispiel diese Passage lesen, einen Gähnimpuls auslösen kann (was zugegebenermaßen auch am Text liegen könnte). Einen amüsanten Weg, sich vor drohender Ansteckung zu schützen, hat übrigens der Psychologe Andrew C. Gallup
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