Die Buße - Gardiner, M: Buße - The Liar's Lullaby
nicht nur eine Begleiterscheinung darstellen und sich auf eine einzelne Familie richten, auch wenn das seine Spezialität war. Denn der Begriff Familie konnte das Verhältnis des Usurpators und des neuen Sukkubus in seinem Bett nicht annähernd beschreiben. Was heute geplant war, war ein unmittelbarer, unwiderruflicher Schaden. Ein Schaden, der einen Flächenbrand entfachen und die ganze Nation reinwaschen würde.
Nachdem er seine Kleider in die Sporttasche gestopft hatte, trat er aus der Toilette, ohne nach links und rechts zu blicken. Ein Mann in Firmenuniform, still, farblos - ein Mann, der mit den Möbeln, dem Hintergrund, der Menge verschmolz. Unsichtbar.
Wenn er zuschlug, würde seine Attacke wie aus dem Nichts kommen.
KAPITEL 50
Vor dem Art-déco-Bau, in dem die Kanzlei Waymire & Fong ihren Sitz hatte, blieb Jo noch einmal stehen. Sie schlüpfte aus einem der hochhackigen Schuhe, um ein Steinchen loszuwerden. Mit einer Hand stützte sie sich gegen die Hausmauer und wünschte sich, nicht in einer Straße, sondern mitten in den Bergen zu stehen und vom Wind zwischen den Gipfeln zum Klettern eingeladen zu werden.
Die Berge konnten sie nur töten. Sie würden nicht an ihrem Grab lachen und sich daran weiden, ihren Namen durch den Schmutz zu ziehen. Sie würden nicht ihren Liebsten bestrafen. Sie würden sie nicht zur Seite stoßen, wenn sie die Menschen vor Gefahren warnen wollte.
Sie streifte den Schuh wieder über, strich sich das Haar glatt und betrat das Haus, um K.T. Lewicki gegenüberzutreten.
An einem Autobahnkreuz außerhalb des Flughafens stoppte Ivory, schlug eine Straßenkarte auf und redete in ein Telefon. Natürlich war niemand am anderen Ende. Oben wuchteten
sich ausländische Jumbos in die Luft, deren Dröhnen an ihrem angeschlagenen Nervenkostüm zerrte.
Einen knappen Kilometer entfernt öffnete sich ein Tor im Flughafenzaun. Auf der Rollbahn konnte Ivory Möwen erkennen, Flugzeuge der Küstenwache, Privatjets und in der Ferne die weiß-blaue Farbe auf der 747 mit der Aufschrift UNITED STATES OF AMERICA an der Seite.
Durch das Tor schob sich ein Konvoi von Polizeimotorrädern und schwarzen Chevrolet Suburbans. Sie beschleunigten und bretterten an ihr vorbei auf den Highway - drei Wagen, vier. Wie sollte sie erkennen, in welchem der Scheißkerl saß?
Schnell ließ sie die Karte fallen, warf das Auto an und folgte ihnen.
Die Empfangsdame von Waymire & Fong, Dana Jean, forderte Jo auf, Platz zu nehmen, aber Jo konnte nicht still sitzen. Wie ein Panther lief sie vor den Fenstern auf und ab. Unten auf der Sacramento Street plätscherte der Verkehr durch den strahlenden Tag.
Ein nicht enden wollender Strom von Leuten strebte zu den Aufzügen. Das Büro leerte sich. Alle wollten zu Tasias Trauerfeier.
Ihr Telefon klingelte. Der Name Gabe auf dem Display war wie ein Funkenschlag für ihre Nerven. »Hi.«
»Hallo, Hyänenschlächterin. Ich weiß nicht, wie du das angestellt hast, aber ich würd’s gern hören. Ausführlich, mit allen Details.«
ich Sie …« grinste. »Ich hab einen Termin in der City. Kann ich...«
»Ich hol dich ab. Ich hab heute eine Dreiviertelstunde frei, und die möchte ich dazu nutzen, dich auf den Schultern herumzutragen. Du darfst heulen wie eine Kriegerkönigin. Vielleicht solltest du dich in Zukunft Boudicca nennen. Wo bist du jetzt?«
Immer noch grinsend, nannte sie ihm die Adresse. »Bis gleich.« Als sie das Gespräch beendete, fühlte sie sich so gut wie schon seit Tagen nicht mehr.
»Hi, Jo.«
Vienna trat in die Lobby. Sie trug einen schwarzen Anzug mit einer Jacke, die wie ein Staubmantel bis über ihre Knie fiel, und eine rote Seidenbluse mit Rüschen wie explodierende Rosen. In ihren schwarzen Lederstiefeln war sie fast eins neunzig groß. Sie sah aus wie der neue weibliche Sheriff im Land der Amazonen, auf dem Weg in die Stadt, um die Gesetzlosen zu vertreiben.
Sie lächelte selbstironisch. »Tasia hätte nicht gewollt, dass ich mich wie ein Mäuschen anziehe. Wir wollen stilvoll von ihr Abschied nehmen.«
Sie hakte sich bei Jo ein und zog sie in ihr Büro. »Es wird wunderschön. Musik, Blumen. Der Konzertveranstalter hat die Beschallungsanlage bezahlt, und sogar Ace Chennault, der alberne Tropf, hat sich nützlich gemacht. Eine Stunde lang hat er den Leuten vom Bestattungsinstitut mit den Blumengestecken geholfen.« Sie lächelte. »Bereit für Kelvin?«
»Und ob.«
»Na klar. Wollen Sie ein Aufputschmittel?« Sie gackerte. »Kleiner
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