Die Dame vom See - Sapkowski, A: Dame vom See
zehn Schritte vor Geralt eine undeutliche graue Gestalt sprang, mit den Klauen den Staub aufwirbelte, wild die Beine zusammenschlug, durchdringend aufheulte, worauf sie pfeifend und kichernd den Korridor entlangschoss und in einer der in der Wand klaffenden Nischen verschwand.
Der Hexer fluchte. Das Zauberding reagierte auf rote Kater, aber auf Gremlins reagierte es nicht. Ich werde mit Fringilla darüber reden müssen, dachte er, während er zu dem Loch ging, in dem das kleine Wesen verschwunden war.
Das Amulett zuckte kräftig.
Ein bisschen spät, dachte er. Doch sogleich besann er sich eines Besseren. Vielleicht war das Medaillon gar nicht so dumm. Die übliche Taktik von Gremlins bestand darin, zu fliehen und aus dem Hinterhalt heraus dem Verfolger einen Hieb mit den sichelscharfen Klauen zu versetzen. Der Gremlin konnte dort im Dunklen warten, und das Medaillon signalisierte das.
Er wartete lange, hielt den Atem an, spitzte wachsam die Ohren. Das Amulett lag ruhig und leblos auf seiner Brust. Aus dem Loch drang ein dumpfer, unangenehmer Gestank. Doch es war totenstill. Und kein Gremlin hätte es so lange in Stille ausgehalten.
Ohne zu überlegen kroch er in das Loch und bewegte sich auf allen vieren weiter, wobei er mit dem Rücken an dem rauen Fels entlangschrammte. Lange war er nicht unterwegs.
Etwas knackte und begann zu rascheln, der Boden gab nach, und der Hexer stürzte abwärts – zusammen mit etlichen Zentnern Staub und Geröll. Zum Glück dauerte es nicht lange, und unter ihm lag kein bodenloser Angrund, sondern ein gewöhnliches Verlies. Er schoss heraus wie Scheiße aus dem Kanalisationsrohr und krachte gegen einen Stapel morschen Holzes. Er schüttelte Staub aus den Haaren und spuckte welchen aus, fluchte sehr lästerlich. Das Amulett zuckte unablässig, zitterte ihm auf der Brust wie ein unters Hemd gesteckter Sperling. Der Hexer widerstand dem Impuls, es abzureißen und auf Nimmerwiedersehen wegzuwerfen. Erstens wäre Fringilla wütend gewesen. Zweitens sollte der Chrysopras noch andere magische Eigenschaften haben. Geralt hoffte, in Bezug auf die anderen würde er verlässlicher sein.
Als er aufzustehen versuchte, ertastete er einen runden Schädel.Und er begriff, dass das, worauf er lag, keineswegs Holz war.
Er stand auf, musterte rasch den Haufen Knochen. Sie waren durchweg von Menschen. Alle diese Menschen waren im Augenblick des Todes in Ketten geschlagen und höchstwahrscheinlich nackt gewesen. Die Knochen waren zermalmt und zerbissen. Als sie zerbissen wurden, waren die Menschen vielleicht schon tot gewesen. Doch sicher war das nicht.
Aus dem Stollen führte ein Korridor, lang und schnurgerade. Die Schieferwand war ziemlich glatt bearbeitet; das sah nicht mehr nach einem Bergwerk aus.
Plötzlich gelangte er in einen riesigen Hohlraum, dessen Decke im Dunkel versank. Die Mitte der Kaverne nahm ein riesiges, schwarzes und bodenloses Loch ein, über dem eine steinerne, gefährlich filigran aussehende Brücke hing.
Von den Wänden tropfte Wasser, hallte als Echo wider. Aus dem Abgrund wehten Kälte und Gestank herauf. Das Amulett verhielt sich ruhig. Geralt trat auf die Brücke, wachsam und konzentriert, bemüht, sich von den zerbröckelnden Geländern fernzuhalten.
Hinter der Brücke kam wieder ein Korridor. An den glatt bearbeiteten Wänden bemerkte er durchgerostete Halterungen für Fackeln. Es gab auch Nischen hier; in manchen standen kleine Statuen aus Sandstein, doch das jahrelang tropfende Wasser hatte sie abgeschliffen und formlose Felsbrocken daraus gemacht. In die Wände waren auch Platten mit Reliefs eingelassen. Diese, in beständigerem Material ausgeführt, waren besser auszumachen. Geralt erkannte eine Frau mit Mondhörnern, einen Turm, eine Schwalbe, ein Wildschwein, einen Delphin, ein Einhorn.
Er hörte eine Stimme.
Er blieb stehen, verhielt den Atem.
Das Amulett zuckte.
Nein, es war keine Täuschung, es war nicht das Knirschenvon nachsackendem Schiefer oder das Echo tropfenden Wassers. Es war eine Menschenstimme. Geralt schloss die Augen, strengte das Gehör an. Er versuchte das Geräusch zu orten.
Die Stimme, darauf hätte der Hexer schwören mögen, drang aus der nächsten Nische, hinter der nächsten Statue hervor, die abgeschliffen war, aber nicht so sehr, dass sie die rundlichen Formen einer Frau verloren hätte. Diesmal zeigte sich das Medaillon auf der Höhe. Es blitzte, und Geralt bemerkte plötzlich in der Wand einen Metallreflex. Er umschlang die
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