Die Drachenkämpferin 01 - Im Land des Windes
die Haustür zu. Sie war nur angelehnt und knarrte in den Angeln, als sie sie aufstieß. Drinnen war es dunkel. Es roch nach Tod. Ein Mann baumelte an der Decke, während ein kleines Mädchen und eine Frau am Boden in ihrem Blut lagen.
Wie versteinert blieb Nihal stehen: Ihr war, als erschienen ihr in diesem Halbdunkel die Gesichter aus ihren Träumen, und plötzlich hatte sie auch wieder diese schreienden, klagenden Stimmen im Ohr. Die Geschichte wiederholte sich, ein Blutbad folgte dem anderen. Sie schrie und ließ sich auf die Knie niederfallen.
»Komm weg hier. Schau dir das nicht an.«
Soana war zu ihr getreten.
»Nein, das muss man sich anschauen! Man muss sich genau einprägen, was der Tyrann unserer Welt antut!«, schrie Nihal voller Zorn.
Die Zauberin fasste sie am Arm und führte sie hinaus.
Sie bestatteten die Leichen, aber so, dass von den Gräbern nichts zu sehen war, und legten sich dann im Heuschober des Anwesens schlafen. Keinem von ihnen fiel es leicht, in den Schlaf zu finden: Die Bilder des Todes verfolgten sie.
Sennars Einwänden zum Trotz übernahm auch Nihal eine Wache. Sie ergriff ihr Schwert und setzte sich auf die Schwelle. Beim Anblick der trostlos leeren Felder, denen diese Familie in schwerer Arbeit das tägliche Brot abgerungen hatte, schnürte es ihr die Kehle zu.
Der Tag verging ohne besondere Vorkommnisse.
Die Sonne stand schon sehr tief, als Nihal endlich etwas Schlaf fand,- ihr Schwert umklammernd, schlief sie zum ersten Mal, seit sie von ihrer Abstammung als Halbelfe wusste, ohne Albträume. Stattdessen träumte sie, Fen sei gekommen, um sie mitzunehmen. Und vor dem Wasserfall bei Astreas und Gallas Palast gab er ihr einen langen, langen Kuss.
Jetzt wird alles gut, Nihal, jetzt hin ich für dich da, sagte er.
Als sie aufwachte, wunderte sie sich, dass sie in einer solch dramatischen Situation etwas so Schönes hatte träumen können. An den Ritter hatte sie lange nicht mehr gedacht, merkte aber jetzt, dass ihre Liebe noch nicht verflogen war. Wo mochte er jetzt sein, an welcher Front kämpfte er wohl, ob es ihm gut ging ...?
So setzten sie ihre Wanderung fort. Bald erreichten sie einen niedrigen Wald, und im Schutz der Bäume fühlten sie sich etwas sicherer. Einige Kobolde kamen hervor und streckten ihre zerknautschten Flügel aus.
Phos jubelte, als er sah, dass dieser Wald keine Spuren von einem Durchmarsch der Fammin aufwies. »Vielleicht ist noch nicht alle Hoffnung verloren. Noch ist nicht alles zerstört!«
Sennar nahm seinen Helm ab und atmete aus vollen Lungen die frische Luft ein. »Komm, Nihal, hier kann dich niemand sehen. Leg ruhig den Umhang ab.«
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Nein. Ich will euch nicht in Gefahr bringen.« Bleich, abgemagert, ganz in Schwarz gekleidet, sah Nihal wie eine diabolische Gestalt aus. Für einen Augenblick bekam Sennar sogar Angst vor ihr. Sie war nicht mehr das Mädchen, das er in Salazar kennen gelernt hatte. Sie hatte sich verändert, aber noch hätte er nicht sagen können, in welche Richtung.
Auch in dieser Nacht blieb alles ruhig. Kurz vor Sonnenaufgang machten sie Halt, um zu rasten. Nach den Erfahrungen des Vortages war es herrlich, im frischen Gras zu schlafen.
Nihal beschloss, die erste Wache zu übernehmen, und nutzte die Gelegenheit, um ein wenig herumzugehen, denn sie wollte so schnell wie möglich wieder ganz auf die Beine kommen. Sie betrachtete die Landschaft und staunte über dieses kleine Paradies inmitten der Verheerungen des Krieges. Dabei fielen ihr die Tage der Prüfung im Bannwald wieder ein: Sie schienen ihr zu einem anderen Leben zu gehören. Ein Rascheln riss sie aus ihren Gedanken, und ruckartig drehte sie sich um: Es war Soana. Seit der Enthüllung hatten sie sich nicht mehr miteinander unterhalten. »Fühlst du dich besser?« Die Zauberin wirkte nun wieder mehr wie früher, schön und selbstsicher.
»Ja, schon.«
»Du kannst mir nicht verzeihen, nicht wahr«, kam Soana sofort zur Sache. Und trocken und ehrlich antwortete Nihal: »Nein.«
Sie wollte sie nicht verletzen, aber gegen diesen Groll, der ihr die Kehle zuschnürte, war sie machtlos.
»Das verstehe ich. Ich kann mir vorstellen, wie es in dir aussieht. Ich weiß, welch unendlichen Verlust Livons Tod für dich bedeutet. Aber du musst wissen, dass ich diesen Schmerz mit dir teile. Livon war mein Bruder, Nihal.«
»Du warst nicht da, als er starb.«
»In deinen Augen sehe ich alles, was geschehen ist.«
Gegen ihre Tränen
Weitere Kostenlose Bücher