Die Drenai-Saga 6 - Druss-Die Legende
Seite.
»Ich bin Waldarbeiter. Ich kenne mich mit Bäumen aus. Einmal hab’ ich in einem Obstgarten gearbeitet. Wußtest du, daß man Stecklinge jeder beliebigen Art nehmen und sie auf einen anderen Apfelbaum pfropfen kann? An einem einzigen Baum können zwanzig Sorten wachsen. Bei Birnen ist es dasselbe. Mein Vater hat immer gesagt, die Menschen wären genauso mit dem Wissen. Du kannst noch soviel aufpfropfen – es muß zu dem passen, was das Herz fühlt. Du kannst einen Apfel nicht auf einen Birnbaum pfropfen. Das ist Zeitverschwendung, und ich verschwende meine Zeit nicht gern.«
»Glaubst du, ich könnte deine Argumente nicht verstehen?« fragte Sieben mit einem höhnischen Lächeln.
»Manche Dinge weiß man einfach, oder man weiß sie nicht. Und ich kann dir dieses Wissen nicht aufpfropfen. In den Bergen habe ich Bauern gesehen, die Reihen von Bäumen entlang der Felder pflanzten, weil der Wind sonst die Erdkrume fortbläst. Aber die Bäume brauchen hundert Jahre, um wirklich als Windbruch zu dienen. Also haben diese Bauern für die Zukunft gearbeitet, für andere, die sie nie kennenlernen werden. Sie haben es getan, weil es richtig war – und keiner von ihnen wäre in der Lage, mit diesem aufgeblasenen Windbeutel dort hinten zu debattieren. Oder mit dir. Und das haben sie auch gar nicht nötig!«
»Dieser aufgeblasene Windbeutel ist der erste Minister Mashrapurs, ein hervorragender Politiker und recht angesehener Dichter. Er wäre gewiß tödlich beleidigt, wenn er wüßte, daß ein junger, ungebildeter Bauer aus dem Hinterwald mit seiner Philosophie nicht einverstanden ist.«
»Dann wollen wir es ihm nicht erzählen«, sagte Druss. »Wir lassen ihn einfach seine Kuhfladen den Leuten servieren, die sie für zartes Fleisch halten. Und jetzt habe ich Durst, Dichter. Kennst du hier eine anständige Wirtschaft?«
»Das kommt drauf an, was du suchst. Die Schänken in der Hafengegend sind rauh und meist von Huren und Dieben besucht. Wenn wir noch ein paar hundert Meter weitergehen, kommen wir in eine zivilisiertere Gegend. Dort können wir in Ruhe einen trinken.«
»Was ist mit denen da drüben?« fragte Druss und deutete auf eine Reihe von Gebäuden entlang des Kais.
»Dein Urteilsvermögen ist unbeirrbar, Druss. Das ist der Ostkai, den hiesigen Bewohnern besser als Straße der Diebe bekannt. Jede Nacht gibt es hier zahlreiche Schlägereien – und Morde. Praktisch niemand, der etwas auf sich hält, würde dorthin gehen – was es geradezu perfekt für dich macht. Du gehst weiter, und ich suche ein paar alte Freunde, die vielleicht etwas über Sklavenverkäufe in jüngster Zeit wissen.«
»Ich komme mit dir«, erklärte Druss.
»Nein, das wirst du nicht. Du wärst fehl am Platze. Die meisten meiner Freunde sind aufgeblasene Windbeutel. Wir sehen uns um Mitternacht wieder im Knochenbaum.« Druss kicherte leise, was Siebens Verärgerung nur noch steigerte, als er sich umdrehte und durch den Park davonging.
Das Zimmer war mit einem großen Bett mit Satinlaken, zwei bequemen, mit Roßhaar gepolsterten und mit Samt bezogenen Stühlen und einem Tisch ausgestattet, auf dem ein Krug Wein und zwei silberne Becher standen. Auf dem Fußboden lagen Teppiche, die kunstfertig gewebt waren und sich unter den bloßen Füßen herrlich weich anfühlten. Rowena saß auf der Bettkante. Die rechte Hand umklammerte die Brosche, die Druss für sie gefertigt hatte. Sie sah ihn neben Sieben gehen. Trauer überwältigte sie, und ihre Hand fiel in ihren Schoß. Harib Ka war tot – wie sie es gewußt hatte –, und Druss war seinem schrecklichen Schicksal jetzt näher.
Sie fühlte sich machtlos und allein in Collans Haus. An der Tür war kein Schloß, doch im Gang vor dem Zimmer saßen Wachen. Es gab kein Entkommen.
In der ersten Nacht, als Collan sie aus dem Lager gebracht hatte, hatte er sie zweimal vergewaltigt. Beim zweiten Mal hatte Rowena versucht, ihren Geist zu leeren, sich in Träumen von der Vergangenheit zu verlieren. Dabei hatte sie die Türen zu ihrer Gabe aufgestoßen. Rowena war aus ihrem mißbrauchten Körper geschwebt und durch Dunkelheit und Zeit getaumelt. Sie sah große Städte, gewaltige Armeen, Berge, die die Wolken berührten. Verloren suchte sie nach Druss und konnte ihn nicht finden.
Dann hörte sie eine leise Stimme, sanft und beruhigend. »Ganz ruhig, Schwester. Ich helfe dir.«
Sie hielt in ihrem Flug inne, schwebte über einem nachtdunklen Meer. Ein Mann erschien neben ihr. Er war schlank und
Weitere Kostenlose Bücher