Die dunkle Villa: Ein Fall für Alexander Gerlach (Alexander Gerlach-Reihe) (German Edition)
zurückzunehmen und den anderen reden zu lassen, das Thema exakt dann zu wechseln, wenn es zwei Sätze später langweilig geworden wäre, einem Gespräch immer wieder einen originellen Schwenk zu geben, der niemals gekünstelt wirkte. Und zehn Millionen liebten den Mann an diesem Abend für das, was er tat. Dafür, dass es ihn gab. Am Ende konnte ich nicht anders: Ich musste ihn ein wenig bewundern.
Als die letzte Musik lief und die Balletttruppe noch einmal alles gab, zeigten die Kameras ein ehrlich begeistertes Publikum, glückliche Menschen, die größtenteils stehend klatschten, lächelnde Polizisten, denen sichtlich zu warm war in ihren Uniformen, die verschmitzt und zugleich geschmeichelt in die Kamera grinsende Nicht-Kollegin, die man einfach mögen musste. Und ich? Ich fühlte mich pudelwohl und bestens unterhalten.
Wieder surrte mein Handy.
»Gegen Ende haben wir ein wenig abgebaut«, berichtete Grafs Assistentin ausgelassen. »Aber sogar in der letzten Minute lagen wir immer noch über neun Millionen. Damit wäre mancher Tatort glücklich!«
»Sagen Sie Ihrem Chef, es hat mir sehr gefallen.«
»Oh, das sage ich ihm gerne. Er wird sich freuen, das weiß ich. Und das meine ich ehrlich. In unserem Geschäft ist man ja leider nicht so oft ehrlich. Außerdem …«
»Ja?«
»Bitte verzeihen Sie, wenn ich in den letzten Tagen nicht immer nett zu Ihnen war. Wir haben hier unter einem irrsinnigen Druck gestanden. Ich hoffe, Sie sind nicht allzu sauer auf mich.«
»Ich war und bin nicht sauer. Aber es ist noch nicht zu Ende. Sagen Sie Ihrem Chef bitte, sein Publikum würde ihn mehr als je zuvor vermissen, wenn ihm etwas zustoßen sollte.«
»Heute Abend war der Durchbruch. Ein Neustart. Ein völlig anderes Konzept, ernst, mit Tiefgang – und es hat voll eingeschlagen. Wir sind alle so unsagbar erleichtert. Was Sie nicht wissen …«
»Doch, ich weiß es. Ihre Sendung stand auf der Kippe.«
»Ich hätte mir zum Quartalsende einen neuen Job suchen können. Und viele andere mit mir. Jetzt werden wir erst mal eine riesengroße Flasche Sekt knallen lassen. Falls Sie Lust und Durst haben …«
Ich verzichtete dankend. »Aber Sie könnten mir einen Gefallen tun.«
»Der wäre?«
»Schicken Sie mir eine SMS, wenn er im Hotelzimmer ist?«
»Das mache ich. Fest versprochen. Und … danke noch mal. Für alles. Ich möchte Ihren Job nicht haben.«
»Ich Ihren auch nicht.«
Wir verabschiedeten uns heiter. Als wäre alles schon zu einem guten Ende gekommen.
35
Die SMS piepste erst nachts um Viertel nach zwölf. Ich hatte schon geschlafen, jedoch ständig auf den erlösenden Ton gewartet. Die Sektflasche schien wirklich groß gewesen sein.
»Sind angekommen«, schrieb Grafs Assistentin. »Alles in bester Ordnung.«
Ich war gerade wieder beruhigt eingedämmert, als mein Handy sich erneut meldete. Dieses Mal war es keine Kurznachricht, sondern ein Anruf von unbekannter Nummer. Ich ärgerte mich, weil ich wieder einmal vergessen hatte, den Quälgeist leise zu stellen, hatte den Daumen schon auf dem roten Knopf, drückte schließlich doch den grünen.
»Ich bin’s«, sagte eine heisere Stimme. »Sie wissen schon.«
»Wo stecken Sie? Wir müssen unbedingt reden.«
»Können wir. Machen wir. Ich bin bei ihm. Er sitzt hier neben mir. Und es geht ihm nicht besonders, ehrlich gesagt.«
Jetzt saß ich senkrecht und hellwach im Bett. Mein Puls hämmerte.
Etwas war schiefgegangen.
Etwas war katastrophal schiefgegangen.
»Graf?«
»Wer sonst? Kommen Sie, aber schnell. Nicht, dass er mir vor Angst noch krepiert. Wie mein Bruder. Nicht, dass er die Fliege macht, bevor er Ihnen gesagt hat, was er zu sagen hat.«
»Ich … muss … Ich habe schon geschlafen. Muss mich erst anziehen. Geben Sie mir eine Viertelstunde.«
»Viertelstunde reicht nicht. Wir sind nicht in Heidelberg.«
»Nein? Wo denn?«
»In Ludwigshafen. Hotel Excelsior. Zimmer zwölf null fünf. Und jetzt machen Sie hin. Sieht wirklich schon ein bisschen schlapp aus, der Herr Fernsehstar.«
»Machen Sie keinen Unsinn!«
Fred Hergarden lachte trocken. »Ich habe mein Leben lang Unsinn gemacht. Aber heute nicht. Heute mache ich endlich mal was richtig Vernünftiges.«
»Ich will ihn sprechen.«
Zwei Sekunden später hörte ich Marcel Grafs erschöpfte Stimme, die jeden Klang verloren hatte.
»Herr Gerlach, bitte«, krächzte er. »Er hat … er hat eine Pistole. Er ist völlig … ich …«
»Genug«, schnarrte Hergarden. »Keine Tricks,
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