Die dunkle Villa: Ein Fall für Alexander Gerlach (Alexander Gerlach-Reihe) (German Edition)
macht der Kopf?«, fragte er mit gesenktem Blick.
»Sie waren also wirklich dabei?«
Überrascht sah er auf.
»Ich war eine Weile bewusstlos«, erklärte ich. »Gehirnerschütterung. Partielle Amnesie.«
Er nickte, als würde er das kennen.
»Warum waren Sie da?«, fragte ich. »Am Hainsbachweg?«
»Meine Sache.«
»Herr Hergarden, Sie waren bei mir und haben behauptet, Sie hätten Ihre Frau umgebracht. Einen Tag später sehe ich Sie wieder, werde niedergeschlagen und bin eine Woche krank. Da finde ich schon, dass mich die Sache etwas angeht.«
»Niedergeschlagen stimmt nicht.« Er grinste müde. »Aber Sie sind ganz schön hingeknallt. Ihr Rad hat Sie zu Fall gebracht. Sonst wäre nichts passiert, aber das hat Sie zum Stolpern gebracht.«
»Und deshalb will ich wissen, was da los war.«
Hergarden saß vorgebeugt da, die Unterarme auf den Oberschenkeln, und atmete schwer. Es schien ihm nicht gut zu gehen. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich keinen Alkohol roch. Allerdings hatte ich natürlich selbst schon ein Viertel Wein getrunken.
»Ich …«, begann er nach Sekunden. Schnaufte noch ein Weilchen mit mahlendem Kiefer. »Muss erst mal aufs Klo. Mir ist auf einmal …«
Mühsam stemmte er sich hoch, schwankte kurz, schüttelte den Kopf mit dem fettigen grauen Pferdeschwänzchen, hielt sich am Schrank fest, tappte zwei Schritte in Richtung Tür und fiel dann ohne einen Laut in sich zusammen.
Ich sprang auf, um ihm zu helfen, was aber in der Enge des Zimmers nicht einfach war. Er war bei Bewusstsein, stellte ich fest, als ich mich über ihn beugte, litt jedoch unter starker Atemnot. Ich zerrte ihn in Richtung Bett, er half mit, so gut es ging, sein Atem ging keuchend, als hätte er Asthma. Zwischendurch schluckte er immer wieder so heftig, dass der vorstehende Adamsapfel hüpfte. Endlich lag er auf dem Bett. Ich drehte den schweren Körper sicherheitshalber in Seitenlage und knöpfte die Lederjacke auf und den oberen Teil des blassblauen Hemds, das aussah, als gehörte es zu einer Uniform. Es dauerte Minuten, bis sein Atem sich wieder beruhigte. Auch der Adamsapfel kam allmählich zum Stillstand. Die Augen hielt er geschlossen.
»Danke«, nuschelte er schließlich. »Es ist zum Kotzen.«
»Was fehlt Ihnen denn?«
Er machte eine hilflose Handbewegung zur Brust. »Das … Herz.«
»Brauchen Sie einen Arzt?«
Er schüttelte matt den Kopf. Seine Stimme war jetzt kaum noch zu hören. »Pillen«, keuchte er. »Schublade.«
Das Nachttischchen. Ein Fläschchen, halb voll mit rosaroten Tabletten. Auf dem Tisch eine Wasserflasche und ein Glas. Ein wenig von dem Wasser lief auf die bunte und vermutlich von der Hausfrau eigenhändig genähte Tagesdecke. Dann war die Medizin hinuntergewürgt, und Hergarden atmete wieder normal.
»Geht’s wieder?«
Er nickte kaum merklich. Sein knochiger Körper entspannte sich mehr und mehr, und auf einmal – ohne jeden Übergang – war er eingeschlafen.
Ich blieb neben seinem Bett sitzen. Kam zu dem Schluss, dass ein Arzt hier wohl nicht nötig war. Er hatte seine Medizin, war also vermutlich in ärztlicher Behandlung, und ich war nicht sein Kindermädchen. Auf dem Nachttisch, in dessen Schublade ich die Pillen gefunden hatte, stand ein Foto in silbernem Rahmen. Eine junge, dunkelhaarige Frau. Strahlend lächelnd, fast überirdisch schön. Viktoria Hergarden, vermutlich professionell retuschiert, seit fast dreißig Jahren tot und offenbar immer noch geliebt.
Hergardens Gesichtsmuskeln zuckten hin und wieder, als würde er träumen. Er schmatzte. »Sie machen ja sowieso nichts«, hörte ich ihn plötzlich murmeln. Offenbar schlief er doch nicht.
»Wer? Ich?«
Wieder schmatzte er. Es dauerte lange mit der Antwort, die schließlich keine war. »Ich krieg sie schon noch dran, die Sau. Auch ohne Sie. Ich krieg ihn schon.«
»Wen kriegen sie? Marcel Graf?«
»Und wenn es das Letzte ist, was ich in diesem Scheißleben …«
»Wen kriegen Sie?«
Ich erhielt keine Antwort. Jetzt schien er wirklich eingeschlafen zu sein. Ich blieb noch einige Minuten sitzen. Dachte an Theresa und unseren verunglückten Samstagsausflug. Nutzte die Zeit, um ihr eine besonders freundliche Hab-schöne-Träume-mein-Schatz-SMS zu schreiben.
Hergarden drehte sich im Schlaf auf den Rücken und begann zu schnarchen. In der Ferne schlug eine Kirchturmuhr Viertel nach zehn, und allmählich hatte ich meine Zweifel, dass ich hier heute noch etwas erfahren würde. Inzwischen war auch ich müde und kam
Weitere Kostenlose Bücher