Die dunkle Villa: Ein Fall für Alexander Gerlach (Alexander Gerlach-Reihe) (German Edition)
ist ein bisschen kompliziert und außerdem persönlich.«
Wir durchquerten eine weitere Tür und betraten das Reich der Garderoben. Hier herrschte Ruhe und ein unangenehmer Geruch nach fettiger Schminke und tausend Sorten Menschenschweiß. Die meisten Türen standen offen. Die Räume dahinter waren dunkel.
»Wenn Sie hier bitte kurz warten würden.« Frau Opelt knipste irgendwo Licht an und winkte mich in ein leer stehendes Kämmerchen. Vermutlich eine Umkleide für Nebendarsteller. »Ich gebe Marcel Bescheid.«
Sie zog die Tür hinter sich ins Schloss und ließ mich allein.
Der Raum mochte zwölf Quadratmeter messen. An der rechten Längswand reihten sich eine schmale Liege, ein wackliges Tischchen, ein einfacher Sessel. Gegenüber ein großer Schminktisch mit einem enormen Spiegel, der – wie in alten Filmen – mit Glühbirnen umrandet war. Ich drückte versuchsweise den dazugehörigen Schalter und betrachtete kurz das müde Gesicht eines in nicht allzu ferner Zukunft fünfzig Jahre alten, hoch gewachsenen Kerls, dessen Mantel wieder einmal in die Reinigung gehörte. Ich schaltete das gnadenlose Licht wieder aus und setzte mich in den unerwartet hart gepolsterten Sessel. Erhob mich wieder, um die Tür zu öffnen, da mir der Raum sonst zu eng und beklemmend war. Anschließend setzte ich mich auf die Liege, lehnte mich an die weiß gestrichene Wand. Betrachtete ein Theaterplakat an der anderen Wand. »Die Entführung aus dem Serail«, aufgeführt vor fünf Jahren. Damals vielleicht ein rauschender Erfolg. Oder eine gute Seele, der diese karge Zelle zu trostlos erschienen war, hatte auf die Schnelle nichts Besseres gefunden.
Der Showstar ließ standesgemäß auf sich warten. Inzwischen war es schon kurz vor elf, und bald merkte ich, dass ich wirklich so müde war, wie ich eben im Spiegel ausgesehen hatte. Hoffentlich dauerte das hier nicht bis Mitternacht. Irgendwo murmelten ruhige Stimmen. Weit entfernt das dumpfe Wummern der Bühnenbauer. Als ich schon kurz davor war einzuduseln, klappte auf dem Flur eine Tür, und Augenblicke später kamen zwei wichtig aussehende Jeansträger an meinem Zimmerchen vorbei, ohne mich zu bemerken.
»… das dritte Mal in Folge«, sagte der eine gerade. »Sorry, aber wir sind ja nun nicht die Wohlfahrt.«
»Er hat dem Sender Millionen eingebracht! Hunderte von Millionen, über die Jahre!«
»Na, na. Nun übertreiben Sie mal nicht.«
Die beiden blieben einige Meter von mir entfernt stehen, dämpften die Stimmen.
»Im Leben jedes Künstlers gibt es Zeiten, wo es aufwärtsgeht, und Zeiten, in denen geht es abwärts.« Der Mann sprach das Wort »Künstler« aus, als wäre es eine Beleidigung. »Und zurzeit geht’s leider nur noch abwärts mit ihm. Nichts auf der Welt währt ewig. Sorry.«
»Eine Durststrecke. Nichts weiter, eine Durststrecke. Wir sind dabei, das Konzept zu modernisieren.«
»Was wollen Sie denn da modernisieren? Sein Publikum stirbt ihm weg, das ist sein Problem. Oder ist inzwischen einfach zu verkalkt zum Fernsehen. Wir brauchen junges Blut. ›Wetten dass‹ hat es uns doch vorgemacht. Und Gottschalk war noch keine vierundsechzig.«
»Marcel hat immer noch fast fünf Millionen Zuschauer.«
»Dreieinhalb vor acht Wochen. Davor drei Komma acht, vier Komma null, drei Komma neun. Es geht aber nicht nur um die absoluten Zahlen, der Trend ist es, was uns Sorgen …«
Eine Tür quietschte. Die beiden verstummten und gingen weiter.
Sekunden später betrat Marcel Graf mit dem strahlenden Lächeln eines großzügigen Gastgebers die kleine Garderobe. Ich kannte sein Gesicht inzwischen von diversen Fotos im Internet. Auf keinem hatte er annähernd so alt gewirkt wie in Wirklichkeit.
»Herr Gerlach!«, rief er voller Wärme und Herzlichkeit. »Bitte verzeihen Sie, dass Sie warten mussten.« Er hatte einen besitzergreifenden Händedruck, trug einen maßgeschneiderten, fast weißen Anzug über einem dunkelblauen Hemd mit offenem Kragen und duftete nach einem für Beamte wie mich gewiss unerschwinglichen Herrenparfüm. Die leichten Slipper an seinen Füßen stammten vermutlich von einem italienischen Schuhmacher. »Um den alten Freddy geht es also.«
Mit energischer Geste packte er das Sesselchen, setzte sich. Ich sank wieder auf die Liege, von der ich eben hochgeschreckt war.
»Wie geht’s meinem alten Freund denn?«
»Aktuell leider nicht so gut.«
»Er ist aber wieder in Deutschland? Dumme Frage, entschuldigen Sie. Sie sagten ja vorhin, er sei bei Ihnen
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