Die einsamen Toten
Ihnen schon mal eingebrochen worden?«
»Nicht direkt.Vor einer Weile hatten wir es offenbar mit blinder Zerstörungswut zu tun. Jemand hat die Frontscheibe zum Foyer eingeschlagen. Danach haben wir dort eine Sicherheitsverglasung einsetzen lassen. Außerdem wurde die Außenmauer mit Graffiti beschmiert. Irgendwas über den FC Manchester United, aber total falsch geschrieben.«
»Das klingt mir aber nicht nach der Gang von Software-Dieben, berühmt-berüchtigt in ganz Edendale.«
Dearden blieb wie angewurzelt stehen. »Großer Gott, wen meinen Sie damit?«
»War nur ein Scherz«, beschwichtigte ihn Fry, aber Dearden konnte nicht darüber lachen.
»In unseren Entwicklungen hier steckt eine Menge Geld«, erklärte er. »Unglaubliche Summen. Sie können sich überhaupt nicht vorstellen, wie viel.«
»Tut mir Leid, Sir.«
»Sie haben ja keine Ahnung, welche bahnbrechenden Neuheiten wir hier entwickeln. Wenn wir nur ein paar von den Programmen für alle Plattformen herausbringen -«
»Sie müssen uns das nicht näher erklären«, unterbrach ihn Fry. »Das ist nicht der Grund, weshalb wir gekommen sind.«
Aber Dearden wollte es ihnen erklären. Oder zumindest wollte er über ein Thema sprechen, das mit dem Besuch der Polizei nichts zu tun haben konnte.
»Bei der Entwicklung dieses Konzepts arbeiten wir mit renommierten Psychologen zusammen«, fuhr er fort. »Daran sehen Sie, wie ernst es uns ist.«
»Hm.«
Mittlerweile waren sie Dearden einen Gang hinunter und in
ein kleines Konferenzzimmer gefolgt, wo sich ein langer Tisch, ein Ständer mit einem Flipchart und eine Leinwand befanden. Der Raum unterschied sich in nichts von Millionen anderer Konferenzzimmer, in denen Fry Einsatzbesprechungen und Ausbildungseinheiten über sich hatte ergehen lassen. Die Leinwand veranlasste sie, sich nach einem Overheadprojektor umzusehen. Aber natürlich gab es inzwischen auch hier nur noch PowerPoint-Präsentationen vom Laptop.
Zu ihrer Überraschung nahm Alex Dearden am Kopf des Tisches Platz, als wollte er ein Meeting leiten. Fry hatte erwartet, ihm am Tisch gegenüberzusitzen. Aber so passte es ihr besser ins Konzept. So konnten sie und Murfin sich rechts und links neben ihn setzen, und Dearden war es schwer möglich, sich auf beide gleichzeitig zu konzentrieren.
»Es geht um Emma Renshaw«, sagte Fry und zog sich einen Stuhl heran.
»Um Emma? Aber das ist doch schon so lange her«, meinte Dearden. »Die Untersuchungen wurden doch bereits vor ewigen Zeiten abgeschlossen.«
»Abgeschlossen kann man das nicht nennen, Sir. Man hat Emma schließlich nie gefunden.«
»Das weiß ich auch. Und es war für uns alle, die wir sie gekannt haben, sehr belastend.«
»Kann ich mir denken, Sir.«
»Aber ich habe der Polizei damals alles gesagt, was ich wusste. Was nicht sehr viel war, muss ich hinzufügen. Es wurde alles mehrfach überprüft, hat aber nichts genützt. Für ihre Familie ist das sehr tragisch. Aber ich denke, irgendwann kommt der Punkt, an dem wir die Vergangenheit hinter uns lassen und nach vorne schauen müssen, nicht wahr?«
Fry betrachtete den jungen Mann. Sie überlegte, wie jung Dearden noch war. Erst zweiundzwanzig, laut seiner Akte. Aber er hörte sich bereits dreißig Jahre älter an. Wie ein honoriger Bürger in mittleren Jahren, der gereizt darauf reagierte,
wegen einer Sache belästigt zu werden, die weit zurück in der Vergangenheit lag, damals, als er noch ein vollkommen anderer Mensch gewesen war.
»Soweit ich weiß, kannten Sie Emma von klein auf«, sagte Fry.
»Seit ich denken kann. Wir sind im selben Dorf aufgewachsen, in Withens. Kennen Sie den Ort?«
»Bisher noch nicht.«
»Nun, wenn Sie dort sind, werden Sie verstehen, was ich meine. Dort gibt es buchstäblich nichts. Kinder im selben Alter haben zwangsläufig miteinander zu tun. Wir gingen in dieselbe Grundschule, in Tintwistle. Und später auch in dieselbe weiterführende Schule. Außerdem waren unsere Eltern befreundet, und deshalb waren wir natürlich ständig zusammen.«
»Und nach der Schule studierten Sie auch noch an derselben Universität.«
»Nein«, widersprach Dearden. »Da haben Sie etwas missverstanden. Ich habe an der Birmingham University studiert, Emma an der Kunstakademie der UCE, der University of Central England, dem früheren Polytechnikum.«
»Stimmt.« Fry betrachtete Alex Dearden, um dessen Mundwinkel ein herablassendes Lächeln spielte. Er hatte ihr seine Überlegenheit bewiesen und war nun wesentlich
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