Die Eiserne See - Brook, M: Eiserne See
er zurücktrat.
Mit einem Kloß im Hals wandte sich Mina zum Gehen. »Seid Ihr damit fertig?«
»Nein«, war die Antwort, die sie gefürchtet hatte.
Wenn sie nur wütend gewesen wäre, hätte Rhys sie nicht gehen lassen. Doch sie hatte Angst. Und Rhys musste ihr diese Angst nehmen, allerdings konnte er es nicht erzwingen. Im Moment glaubte sie nicht, dass er sie beschützen könnte – oder wollte. Das musste er ändern.
Doch er hatte keine Ahnung, wann er die Gelegenheit dazu bekommen würde. Ein kurzer Fußweg durch London heute Abend würde nichts beweisen. Und dafür bräuchte sie ihn noch nicht einmal. Sie hatte Newberry.
Also stand er an zweiter Stelle hinter dem rothaarigen Riesen. Nein, nicht an zweiter Stelle. Rhys tauchte auf ihrer Liste nicht einmal auf. Manchmal schien sie ihn zu schätzen, schenkte ihm ein Lachen oder Lächeln. Und er hatte ihre körperliche Reaktion auf ihn gespürt, bevor die Angst sie vertrieben hatte.
Und bei Gott, sie faszinierte ihn. Er bewunderte sie wahnsinnig. Doch er wusste, dass die Bewunderung nicht erwidert wurde. Was immer sie auch in ihm sehen mochte, es genügte nicht, um ihre Angst zu besiegen. Das Einzige, wofür sie ihn brauchte, das Einzige, woran sie interessiert war, und das Einzige, was er anzubieten hatte, waren die Terror und die Möglichkeit, ihren Bruder zu finden.
Sie hatte keine andere Verwendung für ihn. Und obwohl es ihn in seinem Stolz traf, konnte Rhys ihr keinen Vorwurf machen. Er war immer ein Mann mit Zielen gewesen – doch seit neun Jahren hatte er kein besonderes gehabt. Nichts, was eine Frau, die nicht käuflich war, reizen könnte.
Doch jetzt gab es zwei Dinge, die ihn antrieben: die Terror zu finden und ihr die Angst zu nehmen.
Er wusste, was er als Erstes tun musste. Er hoffte, der Besuch bei ihr zu Hause würde ihm eine bessere Vorstellung davon geben, wie er die zweite Sache in Angriff nehmen müsste.
Der Leicester Square hatte offensichtlich schon bessere Tage gesehen, doch seine Bewohner schienen entschlossen zu sein, die Stadthäuser nicht dem gleichen Schicksal preiszugeben wie jene des Viertels, in dem sie den Rattenfänger bekämpft hatten. Ein paar hatten versucht, den Ruß abzuwaschen und ihre Häuser in hellen Farben zu streichen. Fast alle Fensterscheiben waren intakt. Ein paar rosafarbene Blüten schimmerten durch den hohen Zaun, der die Grünfläche in der Mitte des Platzes umgab.
Nummer acht war fünf Stockwerke hoch, und sämtliche Fenster im dritten und vierten Stock waren zerstört. Der Hauseingang hatte einen schlichten Rahmen, obwohl ein heller Rand auf dem Sandstein vermuten ließ, dass es einst einen Giebel und Säulen gegeben hatte – wahrscheinlich zerfallen oder verkauft.
Als sie ankamen, fuhr gerade ein Dampfwagen vor dem Haus weg. Scarsdale traf sie auf der Eingangstreppe und zeigte auf den davonfahrenden Wagen.
»Ich fürchte, ein paar der Damen sind gegangen. Anscheinend ist es im höchsten Maße unschicklich, dass ein betrunkener Bounder mit einem blutenden Straßenkind auf dem Arm durch den Haupteingang hereinplatzt.«
»Oh, verdammt.« Die Inspektorin schlug sich gegen die Stirn und blickte mit aufgerissenen Augen zu Rhys. »Ich habe das Liga-Treffen ganz vergessen. Vielleicht solltet Ihr nicht … «
»Ich hab auch den Diener umgebracht.« Scarsdales zerknirschtes Bekenntnis unterbrach sie. Als sich Rhys und die Inspektorin zu ihm umdrehten und ihn anstarrten, fügte er rasch hinzu: »Sein Fehler, ich schwöre es! Er war nicht schnell genug an der Tür, und ich habe ihn voll erwischt, als ich sie aufgetreten habe. Er ist gestürzt, und sein Kopf ist zersprungen.«
»Na großartig. Wirklich großartig.« Mit einem ohnmächtigen Kopfschütteln ging sie zur Tür. »Und das, nachdem Mutter so hart an ihm gearbeitet hat.«
Rhys begriff schließlich. »Ein Automat?«
»Eher ein Kunstobjekt.« Scarsdale schaute auf das Blut, das seine Weste bedeckte. »Ich warte besser hier draußen auf dich.«
Himmel . Rhys hasste Zusammenkünfte jeder Art, doch eine Zusammenkunft von Damen schien die reinste Folter zu sein. »Warum?«
»Ich bin keine passende Gesellschaft.« Scarsdale senkte die Stimme. »Man wird dich ihnen vorstellen. Es gibt keinen Grund, als Erster zu sprechen.«
Hoffentlich gab es keinen Grund, überhaupt etwas zu sagen. Und was denn auch?
Er trat zu der Inspektorin in die Vorhalle, wo ein blondes Dienstmädchen auf dem Fußboden kniete und Zahnräder aus einem Durcheinander aufsammelte,
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