Die Elben - 03 - Der Krieg der Elben
besondere Anlässe und religiöse Ereignisse. Auf den Bildern sah man sie Gebäude errichten, Handel treiben, man sah aber auch einen Herrscher, dem man offenbar Geschenke brachte oder Tribut zollte in Form von Früchten in goldenen Schalen und kleinen Statuen, und eine Art Priester, der inmitten kniender Gestalten stand und die Hände erhoben hatte, als würde er irgendwelche Götter anrufen.
Major Brados betastete die glatte Oberfläche der Wand. Sie musste in einer Weise geschliffen sein, wie es selbst Meister elbischen Handwerks nicht hinbekommen hätten. Brados war sehr wohl in der Lage, diesen Vergleich zu ziehen, denn elbische Erzeugnisse waren in großer Zahl in die Länder der Rhagar gelangt, bevor sich die Fronten zwischen dem Magolasischen Reich und dem Elbenreich verhärtet hatten und der Handel mehr oder minder zum Erliegen gekommen war.
»Es ist, als ob man durch Glas in eine andere Welt schaut«, stellte er bewegt fest. »Und diese Farben – sie leuchten heller, als es das Licht von Fackeln vermag.«
»Vermeidet es hineinzuschauen!«, sagte Magolas, der als Einziger einen Sinn für die Gefährlichkeit dieser Bilder hatte.
Offenbar hatte die Kunst des Volkes der Sechs Finger vor unvorstellbar langer Zeit ein Niveau erreicht, das mit den Werken Mindoril des Wahnsinnigen vergleichbar war, die er einst in Athranor geschaffen hatte. Daher war Magolas zunächst sehr besorgt darüber, ob die schwachen Geister seiner Rhagar-Begleiter vielleicht allzu anfällig für eine wie auch immer geartete Wirkung der Bilder waren. Allerdings bestand genauso die Möglichkeit, dass die Grobschlächtigkeit ihrer Rhagar-Seelen sie vor einem vielleicht tiefen Einfluss der Bilder bewahrte. So kam Magolas schließlich zu dem Schluss, dass in Wahrheit er selbst mit seinen verfeinerten elbischen Sinnen der größeren Gefahr ausgesetzt war.
Sie alle lösten sich vom Anblick der Wandgemälde und marschierten den sich vor ihnen erstreckenden Stollen entlang.
Gnomenkrieger, die sie dort antrafen, ergriffen sofort die Flucht. Major Brados schoss mit seiner Einhandarmbrust auf einen von ihnen. Er konnte nicht genau zielen, denn er musste schnell handeln, wenn er den Gnom noch erwischen wollte.
Der Bolzen verfehlte sein Ziel und kratzte stattdessen an der glatten und so reich bebilderten Steinwand entlang. Ein Aufstöhnen war zu hören und Dutzende von Köpfen der unterschiedlichsten Größe und Ausformung drehten ihre augenlosen Gesichter in Richtung des Schützen. Dann erklangen Worte, die einer Sprache aus uralter Zeit entstammen mochten oder einfach nur Laute des Missfallens und des Protests waren.
Für einen kurzen Moment schienen die Abbildungen in unmittelbarer Nähe lebendig zu sein, ehe sie wieder erstarrten und zu gefrorenen Augenblicken aus einer anderen Zeit wurden.
Selbst die hartgesottenen norischen Söldner standen wie erstarrt da. Der Armbrustbolzen hatte eine Kratzspur über die Oberfläche der Wand gezogen. Und Magolas spürte die magische Aura uralter Seelen, die in diesem Gemäuer wohnten.
Die erschreckend realitätsgetreuen Bilder waren weit mehr als nur Darstellungen von Künstlern, erkannte Magolas. Dass ein augenloses Volk sie aus rein künstlerischen Ambitionen erschaffen hatte, war ohnehin eher unwahrscheinlich, wenn auch nicht grundsätzlich unmöglich. Schließlich bewiesen die Kompositionen Gesinderis des Gehörlosen, dass man selbst als Künstler nicht unbedingt über jenen Sinn verfügen musste, an den sich ein Kunstwerk richtete.
Aber der Zweck dieser Darstellungen schien Magolas eindeutig auf einer anderen Ebene zu liegen. Da waren Seelen konserviert und über die Zeit gerettet worden. Dies war das Eldrana des Volkes der Sechs Finger. Oder vielleicht auch ihr Maldrana, ging es Magolas durch den Kopf. Wer mochte das schon mit Sicherheit sagen.
»Seid vorsichtig mit Euren Waffen!«, wies er seine Männer an. »Wir wollen die Geister der Vergangenheit nicht wecken, die offenbar hier in diesen Bildern gebannt sind.«
»Gnomen lassen sich schließlich auch mit dem Schwert erschlagen«, ergänzte Brados grimmig.
Sie drangen weiter vor, und Magolas vermied es, den Blick allzu lange auf eines der Wandbilder zu richten – einerseits, um sich nicht darin zu verlieren, aber andererseits hatte er auch das Gefühl, das allein seine Blicke schon ausreichten, um die Geister in den Gemälden zu wecken. Denn wenn er sich doch für einen Moment vergaß und einen etwas längeren Blick riskierte, glaubte er,
Weitere Kostenlose Bücher