Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
Bootsanleger zu schleppen. Das waren schmale Bürschchen. Außerdem treiben Leichen an die Oberfläche und werden früher oder später an Land gespült. Zumindest ein Familienmitglied hätte gefunden werden müssen. Es sei denn, die Jungs hätten die Leichen mit Gewichten beschwert, aber die findet man in der Eile vielleicht gar nicht.«
»Habt ihr auch mit den anderen Schülern gesprochen?«
»Ja, aber einige Eltern waren strikt dagegen. Vielleicht waren sie sich zu fein dafür und befürchteten einen Skandal.«
»Ist denn etwas Interessantes dabei herausgekommen?«
Gösta rümpfte die Nase. »Nein. Die Eltern haben lediglich beteuert, wie schrecklich das alles für ihre Söhne sei, behaupteten aber, ihr Kind habe nichts über den Schulalltag zu berichten. Es sei alles wunderbar gewesen. Rune sei prima, die Lehrer seien prima und es habe keinerlei Konflikte oder Streit gegeben. Die meisten Schüler plapperten einfach nach, was ihre Eltern sagten.«
»Und die Lehrer?«
»Die haben wir natürlich auch vernommen. Einen von ihnen, Ove Linder, hatten wir zunächst verdächtigt, aber dann stellte sich heraus, dass er ein Alibi hatte.« Gösta schwieg eine Weile. »Es gab einfach keinen Verdächtigen. Wir konnten ja nicht mal beweisen, dass ein Verbrechen stattgefunden hatte. Aber …«
Erica legte die Arme auf den Tisch und beugte sich vor. »Was aber?«
Er zögerte. »Ach, ich weiß nicht. Dein Mann verweist gern auf sein Bauchgefühl, und wir ziehen ihn oft damit auf, aber ich muss zugeben, dass mir mein Bauchgefühl damals schon gesagt hat, dass mehr hinter der Sache steckt. Wir haben es wirklich versucht, hatten aber keinen Erfolg.«
»Dann probieren wir es eben noch einmal. Seit 1974 hat sich viel verändert.«
»Nach meiner Erfahrung bleibt sich vieles gleich. Feine Leute wissen sich immer zu schützen.«
»Wir probieren es noch einmal«, sagte Erica geduldig. »Du machst die Liste der Schüler und Lehrer fertig und gibst sie mir, damit wir die Sache von zwei Seiten aus angehen können.«
»Hoffentlich erfährt …«
»Patrik bekommt davon gar nichts mit. Und ich gebe dir alles, was ich ausgrabe. So haben wir es doch vereinbart.«
»Stimmt.« Gösta machte ein gequältes Gesicht.
»Übrigens war ich gestern auf der Insel, um mit Ebba und ihrem Mann zu reden.«
Gösta starrte sie an. »Wie geht es ihr? Macht sie sich seit dem Vorfall große Sorgen? Wie …?«
Erica musste lachen. »Langsam. Eine Frage nach der anderen.« Dann wurde sie ernst. »Sie wirkte gedämpft, aber gefasst, würde ich sagen. Angeblich haben die beiden keine Ahnung, wer das Feuer gelegt haben könnte, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie die Wahrheit sagen.«
»Ich finde, sie sollten dort nicht bleiben.« Sein Blick verfinsterte sich vor Sorge. »Zumindest, bis wir den Fall gelöst haben. Sie sind nicht sicher auf Valö und haben nur durch einen glücklichen Zufall überlebt.«
»Anscheinend sind sie beide nicht der Typ, der sofort aufgibt.«
»Einen Dickschädel hat sie in der Tat«, sagte Gösta voller Stolz.
Erica sah ihn verwundert an, fragte aber nicht nach. Sie wusste selbst, wie nahe ihr das Schicksal der Menschen ging, über die sie schrieb. Polizisten ging es wahrscheinlich genauso.
»Eine Sache fand ich etwas seltsam, als ich Ebba traf, und ich denke schon die ganze Zeit darüber …«
»Ja?«, fragte Gösta nach, aber in dem Moment ertönte im Wohnzimmer lautes Gebrüll. Erica sprang auf und sah nach, wer sich weh getan hatte. Erst ein paar Minuten später konnte sie den Gesprächsfaden wieder aufnehmen.
»Wo sind wir stehengeblieben? Ach ja, ich fand es ein bisschen merkwürdig, dass Ebba nichts von den Dingen besitzt, die die Familie hinterlassen hat. Das Haus diente ja nicht nur als Internat, sondern war auch ihr Zuhause. Es muss also auch persönliche Gegenstände gegeben haben. Ich war davon ausgegangen, dass sie in ihrem Besitz sind, aber sie hatte keine Ahnung, was aus den Sachen geworden ist.«
»Interessanter Punkt.« Gösta rieb sich das Kinn. »Ich muss mal nachsehen, ob ich dazu etwas in den Akten finde, aber wenn ich mich recht entsinne, steht davon nichts drin.«
»Ich dachte mir, dass es sich vielleicht lohnen könnte, sich das Ganze aus einem neuen Blickwinkel anzusehen.«
»Keine schlechte Idee. Ich werde sehen, was ich finden kann.« Er warf einen Blick auf die Uhr und sprang auf. »Jesses, die Zeit ist ja wie im Flug vergangen! Hedström fragt sich bestimmt schon, wo ich
Weitere Kostenlose Bücher