Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)
von dieser Sache unterrichtet hat.«
»Ihr habt mir gegenüber auch einmal von Sir Thomas’ ›Befragungen‹ gesprochen. Wusste der Kardinal auch davon?«
»Das nehme ich an.«
»Würdet Ihr so weit gehen zu sagen, dass Kardinal Wolsey diese ›Befragungen‹ billigte?«
Cromwells Augen wurden schmal.
»Nun, ich würde sagen, da er nichts dagegen unternommen hat, könnte man zumindest von seinem stillschweigenden Einverständnis sprechen.«
Anne senkte ihre Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. »Master Cromwell: Stellt die Verweigerung eines ordentlichen gerichtlichen Verfahrens nicht eine unerhörte Verletzung des englischen Gesetzes dar – selbst für den Kanzler?«
»Wenn man es beweisen könnte, durchaus.«
»Ich verstehe«, sagte sie, »aber wieso sollte ein Kardinal sich einen so mächtigen Feind machen, der diese Mühe nicht scheut?« Sie stand auf und begann, wieder Lavendel zu pflücken. Die Luft wurde sofort von seinem würzigen Duft erfüllt. Dann sagte sie leichthin, so als wäre ihr nachträglich eine Idee gekommen: »Diese Geschichte mit den jungen Männern im Fischkeller ist wirklich bedauerlich. Und die andere mit dem Pfarrer aus der Honey Lane auch. Ich nehme an, dass ihm, obwohl er widerrufen hat, jede Möglichkeit verwehrt wird, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Man sollte wirklich etwas tun, um ihm und den anderen zu helfen. Jenen jedenfalls, die ihr Martyrium überlebt haben.« Sie machte eine Kunstpause, dann hob sie den Blick und sah ihn an. »Master Cromwell, möglicherweise benötige ich demnächst einen persönlichen Kaplan. Vielleicht könntet Ihr Euch für mich erkundigen, ob der Pfarrer aus der Honey Lane mit einer solchen Stelle einverstanden ist.«
Cromwell sah sie verblüfft an, erholte sich jedoch schnell von seiner Überraschung.
»Selbstverständlich werde ich das für Euch in Erfahrung bringen, Mylady. Aber der König wird dem natürlich zustimmen müssen.«
»Was ist mit den Studenten? Wie waren noch ihre Namen?«
»Einer hieß Betts und einer Frith.«
»Was ist mit ihnen geschehen?«
»Betts befindet sich auf dem Weg der Besserung. Ob es der Fischkeller oder die Befragung war, die ihm so zugesetzt hat, ist schwer zu sagen. Frith ist verschwunden.«
»Verschwunden, sagt Ihr.« Sie lachte. »Nun, gut für ihn.«
»Also, möglicherweise auch nicht. Ich weiß, dass Sir Thomas überall nach ihm suchen lässt. Er wird wahrscheinlich versuchen zu fliehen, aber ich weiß, dass alle Häfen unter Beobachtung stehen. Frith ist ein sehr kluger junger Mann, ich bezweifele jedoch, dass er es schaffen wird.«
»Können wir etwas tun, um ihm zu helfen?«
»Ich fürchte, das ist unmöglich, Mylady. Er hat das Gesetz gebrochen. Wenn man ihn findet, wird man ihn verhaften und so lange ›befragen‹, bis er widerruft.«
Ein Schauder lief durch ihren Körper.
»Dann werde ich für ihn beten«, sagte sie. Den Beobachter am Fenster hatte sie inzwischen vollkommen vergessen. Auch die zwei Schatten dort, die sich jetzt zurückzogen, sah sie nicht.
Im Laufe der nächsten Woche besserte sich der Zustand von Kates Patient von Tag zu Tag. Er war jetzt so kräftig, dass Kate ohne schlechtes Gewissen abreisen konnte. Als sie sich dahingehend äußerte, sagte Lady Walsh:
»Schön, meine Liebe. Tut, was immer Ihr wollt. Es war jedenfalls sehr freundlich von Euch, uns zu helfen. Mir ist bewusst, dass Ihr nicht vorhattet, so lange hierzubleiben. Aber wie Ihr selbst wisst, ist Master Frith sehr rastlos. Er fühlt sich in diesem Zimmer eingesperrt. Deshalb ist Eure Gesellschaft für ihn eine wichtige Ablenkung. Aber natürlich liegt die Wahl ganz bei Euch.«
Also schob Kate eine Entscheidung immer weiter auf, bis wieder eine Woche vergangen war. Ihren Patienten sich selbst zu überlassen, fiel ihr schwer. Wenn sie bei ihm war, vergaß sie ihre eigene höchst unsichere Zukunft.
»Erzählt mir von Euch«, sagte er. »Wie seid Ihr und Euer Mann dazu gekommen, mit Schmugglern Geschäfte zu machen?« Und so erzählte sie ihm von der Druckerei und der Hausdurchsuchung, von den geschmuggelten Büchern, die sie hatten verbrennen müssen und die sie jetzt ersetzen musste. Dass John Gough vor seinen Feinden kapituliert hatte – und dass er ihr Bruder und nicht ihr Ehemann war –, verschwieg sie ihm jedoch. Er würde sich sonst nur fragen, warum sie ihn schon so lange in dem Glauben gelassen hatte, sie sei John Goughs Ehefrau. Ihr war im Grunde selbst nicht klar, warum sie dies
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