Die Entfuehrung
Sonntagmorgen in einer politischen Talkshow so etwas wie eine Demonstration der Verehrung gewesen - Allison Leahy, Washingtons neue Wunderfrau. Damals schien selbst der Präsident von ihr eingenommen zu sein. Sie erinnerte sich an den ersten Plausch in ihrer neuen Bürosuite, kurz nach ihrer Bestätigung durch den Senat. Ein Fotograf hatte ein Foto von ihnen geschossen, wie sie beide bewundernd zu einem Porträt von Robert Kennedy aufschauten, das über dem Kaminsims hing. Später hatte der Präsident es persönlich signiert und mit einer Widmung versehen: »Eines Tages wird ein künftiger Justizminister ein Porträt von Ihnen bewundern.«
Von wegen. Sie hatte das deprimierende Gefühl, dass ihr Platz in der Geschichte nun beträchtlich niedriger angesiedelt war - so etwa auf der Höhe des Kellers im Justizministerium, versteckt hinter einem Gruppenfoto, das den früheren Justizminister John Mitchell aus der Nixon-Ära zusammen mit anderen Watergate-Verschwörern in Gefängniskleidung zeigte.
Um zehn Uhr abends schließlich hatte sie sich in ihrer Limousine vom Flughafen nach Hause bringen lassen. Den Sonntagnachmittag hatte sie mit kurzen Auftritten in Philadelphia und New Jersey verbracht, gefolgt von einer Besprechung mit ihren Strategen im Flugzeug, bei der einige neue TV-Spots zu begutachten waren. Zwischendurch schaffte sie es noch irgendwie, Harley Abrams anzurufen, um ihm von dem Gespräch mit Tanya Howe zu berichten. Ihm gefiel die Idee, den General in Tanyas Haus zu locken; allerdings hatte er praktischere Vorstellungen davon, was eine Tochter-Spionin tun sollte, als Allison gedacht hatte. Sie konnte es Harley überlassen, die Einzelheiten auszuarbeiten; Tanya würde sich zu nichts überreden lassen, das ihr unangenehm war
»Soll ich sie über den Haufen fahren?« fragte ihr FBI-Fahrer.
Allison schüttelte ihre Gedanken ab und sah durch die Windschutzscheibe. Die Reporter belagerten nach wie vor ihr Haus und erwarteten ihre Rückkehr. Sie war versucht, ja zu sagen.
»Gute Idee. Ich will nur vorher anrufen und Peter bitten, von oben einen Kessel kochendes Öl aus dem Fenster zu schütten.«
Der Agent lächelte und bereitete sich innerlich auf die hektische Meute vor, die schon auf den Wagen zueilte. Schon bald klebten an allen Fenstern aufgeregte Gesichter mit Kameras, aber Allison wusste, dass sie durch das getönte Glas nichts erkennen konnten. Sie waren überall - vorne, hinten und an beiden Seiten. Wenn die Limousine stehenbliebe, würden sie sogar auf die Motorhaube springen. Es war absurdes Theater, wie sie ihre Nasen an die Fenster preßten, gafften und herumschrien, weil sie davon ausgingen, dass Allison innen saß und alles hörte. Sie musste an die Unterwassershow im Sea World-Aquarium denken, wo man hinter Sicherheitsglas in einem Cafe sitzt und Haifische und Barrakudas vobei schwimmen sieht.
Die Limousine hielt direkt vor ihrem Haus. Einer der Sicherheitsbeamten drückte die Tür auf, kämpfte sich den Weg frei um den Wagen herum und öffnete Allisons Tür. Mit je einem Agenten an jedem Arm schaffte sie es, in blendendes Blitzlichtgewitter getaucht, bis zum Eisentor. Sie öffnete das Tor und eilte zur Eingangstür. Ein Agent blieb draußen, der andere folgte ihr hinein.
»Danke«, sagte sie zu ihm. Sie war außer Atem, erschöpft vom Spießrutenlauf. Plötzlich bemerkte sie ein Päckchen, das unter dem Arm des Agenten steckte.
Er überreichte es ihr. »Ein gemeinsamer Freund hat mich gebeten, Ihnen das hier zu geben.
Sie nahm das Päckchen und sah ihn neugierig an. Es hatte die Größe eines Schuhkartons und war in braunes Papier eingewickelt. »Was ist das?« frage sie beklommen.
»Es ist in Ordnung. Ich habe es überprüft.« Er lächelte noch einmal kurz, verabschiedete sich und verließ das Haus. Der Lärm schwoll an, als die Haustür sich öffnete, aber die Enttäuschung darüber, dass lediglich ein FBI-Agent herauskam, ließ ihn gleich wieder abklingen.
Allison ging mit dem Päckchen in die Küche und legte es auf den Tisch. Sie goß sich ein Glas mit Eiswasser voll und trank es halb aus, während sie das Päckchen anstarrte. Es war ein bisschen unheimlich. Ein mysteriöses Paket von »einem gemeinsamen Freund«. Aber sie kannte den Beamten nunmehr seit fast sechs Monaten. Wenn er sagte, dass er es überprüft hatte, dann stimmte das auch. Sie entfernte die Verpackung. Es war tatsächlich ein Schuhkarton. Vorsichtig öffnete sie den Deckel und nahm das Seidenpapier weg. Sie
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