Die Erben der Nacht 04 Dracas
»Ich werde mich eine Woche nicht vom Fleck rühren«, verkündete er. »So eine Höllenfahrt ist nichts in meinem Alter.«
Van Helsing grinste. »Ach Professor, fassen Sie sich. Nun wartet ein warmes Essen, ein weiches Bett und morgen die viel bequemere Eisenbahn auf Sie.«
»Zum Glück! Der Gedanke daran hält mich aufrecht«, gab er mit einer Grimasse zurück, aber dann lächelte er in die Runde. »Und dennoch würde ich dieses Abenteuer nicht missen wollen. Die vergangenen
Tage haben meinen Horizont mehr erweitert als viele Jahre des Studierens zuvor.«
Dem konnte Bram nur zustimmen, der seinen Blick wieder nicht von Ivy wenden wollte.
»Und was habt ihr nun vor?«, erkundigte sich van Helsing bei den jungen Vampiren.
»Wir werden unsere Rückreise nach Wien als Fledermäuse fortsetzen«, gab Alisa Auskunft und bedankte sich noch einmal für die Hilfe der Herren. Feierlich gab sie jedem die Hand. Bram Stoker verbeugte sich und hauchte ihr und Ivy einen Kuss auf die kalten Finger. Van Helsing dagegen schüttelte sie kräftig.
»Dann gute Heimreise. Vielleicht begegnen wir uns eines Tages wieder.«
»Ich hoffe, Sie zücken dann nicht Ihren Degen gegen uns«, sagte Franz Leopold mit einer angedeuteten Verbeugung in seine Richtung.
»Das kommt ganz darauf an«, gab van Helsing vage zurück. »Ich bekämpfe blutsaugende Nachtwesen, die Menschen töten!«
»Dagegen sage ich nichts«, gestand ihm Franz Leopold großzügig zu. »Am besten, Sie fangen in Transsilvanien an. Obgleich sie vergangene Nacht sicher deutlich dezimiert wurden, denke ich, es gibt dort noch genug Nahrung für Ihren Degen.«
»Danke für den Rat, doch ich bevorzuge es, bis auf Weiteres nach Amsterdam zurückzukehren und meine Studien fortzusetzen.«
So nahmen sie Abschied. Die Männer traten in die Wärme des Gasthauses. Bram drehte sich noch einmal um und warf einen letzten Blick auf die vier Vampire - besonders in Ivys Richtung, die ihm lächelnd zunickte, bevor sie sich wie die anderen zur Fledermaus wandelte und in den Nachthimmel davonstob.
Die vier Freunde flatterten über die Dächer der Oberstadt von Sibiu, passierten den Turm der katholischen Kirche und dann den der alten protestantischen, um die sich einst im Mittelalter der Kern der Stadt gebildet hatte. Ivy war in Gedanken bereits zurück in Wien bei Seymour. Und auch Lucianos Sehnsucht eilte ihrem
Weg voraus zu Clarissa. Wie würde sie ihn empfangen? Die bangen Fragen, die er die vergangenen Tage so erfolgreich verdrängt hatte, begannen ihn wieder zu quälen.
Plötzlich schlug Alisa einen Haken und wandte sich nach Osten um.
Was ist ? , wollte Luciano wissen.
Ich fürchte, wir werden verfolgt, gab sie bedrückt zurück.
Was? Wer ist es? Franz Leopold sandte seine Gedanken in die Nacht, um herauszubekommen, wer ihnen auf der Spur war. Wie ist das möglich?, murmelte er.
Ivy beruhigte ihre Freunde. Es ist kein Feind, der uns einzuholen versucht. Fliegt ein wenig langsamer, dass sie aufschließen können.
Nur wenige Minuten später umschwirrten sie etwa zwei Dutzend große Abendsegler, die ihnen zu verstehen gaben, dass sie sie auf ihrem Rückweg nach Wien begleiten würden.
Wie das?, wunderte sich Alisa. Ich dachte, der Schwarm habe sich in Hosman zum Winterschlaf niedergelassen.
Viele von uns, ja. Doch wir haben auf euch gewartet. Die Lycana mit dem Silberhaar hat nach uns verlangt und wir folgen ihrem Ruf.
So ließen sie sich von den Abendseglern leiten. Als die ersten Rinderherden unter ihnen auftauchten, riefen die Vampire zu einer Rast und stürzten hinunter, um sich satt zu trinken.
Mit einem wohligen Seufzen wischte sich Luciano den Mund ab. »Das tut gut. Ich habe das Gefühl, ich hätte Monate lang kein Blut gesehen.«
»Mir geht es ebenso«, gestand Alisa. »Aber die letzte Nacht war auch nicht wie jede andere.«
Sie tranken ausgiebig und kehrten dann zu ihrer Fledermausgestalt zurück, um mit den Abendseglern weiterzuziehen.
In zwei Nächten sind wir zurück. Auf den Empfang, den man uns bereiten wird, bin ich jetzt schon gespannt!, meinte Franz Leopold.
Ganz sicher wird er außergewöhnlich, sagte Luciano. Aber vermutlich nicht außergewöhnlich angenehm!
Oje, den Gedanken habe ich bislang erfolgreich verdrängt, jammerte Alisa. Ich will mir gar nicht vorstellen, was der Baron und die Baronesse mit uns machen, wenn sie uns in die Finger kriegen.
Die Baronesse kann gar nichts mehr tun. Dracula hat sie vernichtet, mischte sich Ivy ein.
Was ? ,
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