Die Erbin
Büffelherde abgezogen war und sie in der Weite der Steppe nur noch vereinzelte Gnus, die man in Südafrika ›Schwarte Beesters‹ nennt, friedlich weiden sahen, fand sie ihre Sprache wieder.
»Das war gefährlich, nicht wahr?«
»Ja, das war gefährlich.« Marcels Stimme war belegt. »Es heißt, Wasserbüffel sind die gefährlichsten Tiere überhaupt. Ein Löwe ist feige dagegen.«
»Jetzt hast du auch Angst gehabt, Jérome …«
»Hm.« Er nickte und fuhr langsam weiter. »Es ist ein verteufeltes Gefühl, wenn man nichts anderes tun kann als warten.«
»Wie beim Autorennen.«
»O nein! Da hast du den Wagen in der Hand!«
»Und dann kommt ein Ölfleck, oder jemand rammt dich, oder der Reifen platzt …«
»Daran denkt man nicht, wenn man am Steuer sitzt.« Er fuhr schneller. Der Landrover hüpfte über die steinige, von Löchern durchsetzte Piste. »Wir fahren jetzt zu einer Stelle, wo es Flußpferde geben soll.«
Sie nickte. Er will ablenken, dachte sie. Er will nicht darüber sprechen. Er weiß, daß ich ihn nie mehr in einem Rennwagen sehen möchte. Ich könnte diese Angst um ihn nie aushalten. Jérome, ich liebe dich.
Sie beobachtete ihn, wie er hinter dem Steuer des Landrovers saß und auf die höckerige Steppenpiste starrte. Ein kantiges Gesicht, das im Profil viel älter wirkte, als es war. Er schwieg und hatte das Kinn angezogen.
Er hat Heimweh, dachte sie. Heimweh nach seinem Rennwagen, nach den fürchterlichen Betonbahnen, nach dem quirlenden Leben an den Boxen. Heimweh nach dem Rausch der Schnelligkeit, nach dem Rundenrekord, nach dem Sieg. Jetzt schon hat er Heimweh – nach kaum sechs Wochen mit mir. Aber er sagt es nicht, er spricht nie darüber. Er ist zärtlich wie immer, verzaubert die Nächte, berauscht mich mit seiner Liebe. Und morgen fahren wir wieder irgendwohin, an einen Fluß, an ein Wasserloch, über die Steppe, in einen Wald, an die Küste des Indischen Ozeans, in ein Eingeborenendorf, über die Felder einer Farm, wir sehen den Springböcken zu, wenn sie in weitem Bogen durch die Luft schnellen und vor uns flüchten, und wir fotografieren ein riesiges, abgrundhäßliches Warzenschwein, wie es sich in der Suhle am Flußufer wälzt.
Der Briefträger aber bringt seit fünf Tagen Post von seinem Rennstall. Meldungen über Neuerungen am Wagen, Trainingspläne, Streckenpläne, Erfahrungsberichte. Und er tut so, als interessiere ihn das alles sehr wenig.
Mein Gott, hilf mir. Er hat Heimweh nach seinem Rennwagen …
Nun war das erste wahre Wort gesprochen worden. »Ich sterbe ganz langsam, wenn ich nicht mehr in meinem Wagen sitzen kann …« Hineingesagt in das Glas mit funkelndem Rotwein, als spräche er mit einer Fee, die ihm einen Wunsch erfüllen kann.
»Wann?« fragte Lyda leise. Das Feuer prasselte. Das Zedernholz roch stark nach süßem Harz. Es war sehr warm im Zimmer, vor dem Kamin, aber Lyda fror. Von innen heraus kam das. Es gibt ein Frieren, das aus dem Herzen kommt.
»In neun Tagen.«
»Und das Training?«
»In sechs Tagen kann ich anfangen.«
»Du wirst es tun?«
»Ich weiß es nicht.« Er beugte sich vor, stieß einen Holzkloben tiefer in die Flammen und blieb, weit nach vorn gebeugt, sitzen. »Es ist der dritte Lauf vor der Weltmeisterschaft.«
»Kannst du Weltmeister werden?«
»Theoretisch ja. Noch! Ich liege mit drei Punkten zurück. Monte Carlo hat mich in eine gute Position gebracht. Wenn ich Kapstadt gewinnen kann, dann den Nürburgring … Aber Monza ist ein Monster! Darum müßte ich in Kapstadt … wegen des Punktevorsprungs, Lyda …«
»Und wenn mein Herz stehenbleibt vor Angst?!«
»Nur beim ersten Mal. Später dann, wenn du selbst an den Boxen stehst … das ist ein Leben, das ist ein Fluidum … Man kann es mit nichts vergleichen!«
»Es gibt kein Später mehr, wenn mein Herz stehenbleibt!«
»So schnell stirbt man nicht, Liebling.« Er lächelte in die Flammen. »Vom Rennen in Monaco warst du begeistert!«
»Da kannte ich von dir nur deinen Namen, und den fand ich noch wenig interessant.« Sie sprang auf, kniete vor ihm und schlang die Arme um seinen Hals. »Und wenn ich dich bitte, wenn ich dich anflehe, wenn ich vor dir auf die Knie falle …«
»Lyda!«
»Gib das Rennen auf! Bitte, bitte!«
»Und wovon soll ich leben?«
»Wir haben doch Geld genug.«
»Dein Geld!«
»Mein Geld, dein Geld! Es ist unser Geld!«
»Ich habe es nicht verdient, das ist es! Es ist von der Reederei Penopoulos eingefahren worden! Und jeder wird sagen: Ah,
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