Die Erfuellung
Leben lang würde sie sich nach der anheimelnden Behaglichkeit zurücksehnen.
Shane und Michael, die bereits am Tisch saßen, blickten sie an, sprachen aber kein Wort. Michael wirkte verwirrt und verletzt, während Shane so grimmig dreinblickte, dass sie den gütigen alten Mann kaum wieder erkannte. Im Augenblick wirkte er wie das Ebenbild seines Neffen. Kaum hatte sie ihren Platz am Tisch eingenommen, da sprang Shane so hastig auf, dass er fast seinen Stuhl umgestoßen hätte, und eilte zur Küchentür, wo ihm Mrs Batley entgegenkam.
»Was ist los?«, wollte sie wissen. »Trinkst du deinen Tee nicht?«
»Nein, Maggie, mir ist nicht danach. Ich werde noch eine Runde drehen.«
Linda beobachtete, wie Mrs Batley ihn einen Augenblick lang prüfend ansah, bevor sie zum Tisch ging und ihren Platz einnahm.
»Essen Sie, Kind«, forderte sie Linda auf, die vor einem leeren Teller saß. Sie schob ihr eine reichlich gefüllte Platte hin, aber Linda schüttelte nur den Kopf. »Schon gut, dann soll Michael in Ihrem Zimmer ein Feuer anzünden. Das macht er bestimmt, nicht wahr, Michael?«
Der Junge nickte, ohne den Blick von Linda zu wenden, und als sich Mrs Batley schließlich erbot, Linda etwas zu essen aufs Zimmer zu bringen, wäre sie fast verzweifelt. Sie bedeckte mit der Hand ihre Augen.
»Bitte, Mrs Batley, tun Sie das nicht!«
Wenn sie angegriffen wurde, war sie durchaus in der Lage sich zu verteidigen, aber angesichts dieser Freundlichkeit drohte ihr Zorn in sich zusammenzufallen. Das durfte auf keinen Fall passieren. Ihre Empörung musste sie aufrecht halten, bis sie dieses Haus verlassen hatte. Mit einer gemurmelten Entschuldigung erhob sie sich und lief die Treppe hinauf.
In ihrem Zimmer angelangt, ließ sie ihren Tränen freien Lauf. Wilde Schluchzer schüttelten sie, die sie schier zerreißen wollten. Obwohl sie sich erst seit gut einer Woche in diesem Haus aufhielt, schien sie in diesem Zeitraum jedes nur mögliche Gefühl erlebt zu haben. Nun wurde ihr Zorn von ihren Tränen hinweggespült.
Mühsam rang sie um Beherrschung, als es an der Tür klopfte.
»Ich bringe das Holz«, meldete sich Michaels Stimme.
Sie wandte das Gesicht ab und tat so, als müsste sie die Vorhänge zuziehen. Dann machte sie sich an ihrem Kosmetiknecessaire zu schaffen, während der Junge bedächtig Anmachholz auf Papier und Kohlen legte und schließlich mit einem Streichholz das Feuer entzündete. Nach getaner Arbeit verließ er nicht sofort das Zimmer, sodass Linda gezwungen war, sich umzudrehen. Er starrte sie mit einer Verlorenheit an, die seinen ganzen kleinen Körper erfasst zu haben schien. Gleichzeitig lag ein tiefer Vorwurf in seinem Blick.
»Meine Mami ist auch weggegangen.« Mit diesen Worten wandte er sich ab und verließ den Raum.
Es war nur allzu klar, wie elend sich der Kleine fühlte. Linda hatte das Gefühl, in einem Meer der Schuld zu versinken. Sie war dabei, ihn ebenso im Stich zu lassen, wie seine Mutter es getan hatte. Am liebsten wäre sie ihm nachgelaufen, um ihm zu erklären, dass sie nichts dafürkonnte. Aber welchen Unterschied machte das schon für ihn … Sie ging fort, das stand fest. »Ich will, dass sie geht, und sie will es auch«, hatte Ralph Batley gesagt. Dem war nichts hinzuzufügen.
Doch dann hörte sie unter ihrem Fenster Mrs Batley in den Hof hinaus rufen. »Hast du deinen Onkel gesehen?« Linda vernahm keine Antwort, aber nach einer Weile hörte sie Mrs Batleys Stimme erneut in der Ferne.
»Shane! Wo bist du, Shane?«, rief sie immer wieder.
Ein nagendes Schuldgefühl plagte Linda.
Das Feuer im Kamin prasselte munter vor sich hin, während sie trübsinnig überlegte, was sie als Nächstes tun sollte. Sie war davon überzeugt, dass sie eine neue Stelle finden würde, wusste aber nicht recht, ob sie zunächst nach Hause zurückkehren und von dort aus suchen oder im Norden bleiben sollte. Dann fiel ihr der Farmers’ Weekly ein, den sie vor wenigen Stunden gekauft hatte. Allerdings hatte sie die Zeitung in ihrem Ärger im Jeep liegen lassen, und zumindest für diesen Abend wollte sie das Zimmer nicht mehr verlassen, weil sie Ralph Batley auf keinen Fall begegnen wollte. Allerdings würde sich das am nächsten Morgen kaum vermeiden lassen, schließlich musste er sie und ihr Gepäck nach Surfpoint Bay fahren. Sie erschauerte bei der Vorstellung.
Mrs Batleys Stimme riss sie erneut aus ihren Gedanken. Diesmal stand sie offenbar auf dem Treppenabsatz und rief in die Halle hinunter. »Hier
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