Die ewige Bibliothek
des laufenden Monats von seinen Verpflichtungen zurücktrat und der nächstfolgende Gott sie aufnahm. Ein Tag der Übertragung. Die Maya hatten sechs verschiedene Kalender, aber dieser Aspekt war allen gemeinsam: der Nullpunkt. Und das wurde entscheidend, wenn verschiedene Kalender denselben Nullpunkt gemeinsam hatten.«
»Worin unterschieden sich die Kalender?«, fragte Michael. »Sie sagten, die Maya hätten Kenntnis von der Kairos-Zeit gehabt, also…«
»Das hatten sie«, unterbrach Juda, »aber Kairos-Zeit hat oft wenig oder gar nichts zu tun mit den alltäglichen Kreisläufen von Geburt und Tod, Aussaat und Ernte und all diesen Dingen, mit denen wir unsere Tage verbringen. Die Maya verfügten über den Kairos-Kalender – Wissenschaftler nennen das den long count oder die Lange Rechnung. Sie verwendeten ein bürgerliches Jahr, das dem Sonnenjahr entsprach, ein rituelles Jahr, das Tzolkin, das Zyklen auf der Grundlage von Zahlen besaß, die Menschen und Götter darstellten. Es gab den Kalender des ›Totengotts‹, der einem Zyklus von neun Glyphen entsprach, die die ›Herren der Nacht‹ darstellten, die ebenfalls über ihre entsprechenden Tage herrschten; den Mondkalender, der nicht so wichtig war; und dann seltsamerweise einen Kalender, der auf der Konjunktion von Erde, Venus und Sonne basierte.«
»Kein Wunder, dass ihre Kultur ausgestorben ist«, sagte Michael und schüttelte den Kopf. »Sie haben sich zu Tode gezählt.«
»Das kommt der Wahrheit ziemlich nahe«, sagte Juda, sehr zu Michaels Überraschung. »Und nicht nur das – sie wussten, dass das Ende bevorstand.«
»Wie das?«
»Nicht die Zahlen in ihren Kalendern waren wichtig – sondern die Gleichzeitigkeiten. Am meisten fürchteten die Maya das Ende der Dinge. Das ist einer der Gründe, weshalb das Ende von Zyklen oder Monaten eher als Übergang angesehen wurde denn als eigentliches Ende. Aber, so überlegten die Maya, Tage und Nächte durchliefen einen Zyklus und endeten – konnte nicht auch die Welt, das Universum selbst, aufhören? Daraus ließ sich ableiten, dass alles enden konnte, und das sahen die Maya als den größten Mangel der linearen oder Chronos-Zeit an. Also griffen sie zu außergewöhnlichen Maßnahmen, um den Fortgang ihrer Welt zu sichern. Sie übertrugen den Kreislauf des Himmels auf die lineare Zeit und schufen eine nicht-lineare Schleife, die während ihres Verlaufs keinen Haltepunkt besaß. Aber es gab immer noch einen Ausgangspunkt, und somit könnte es also auch einen Haltepunkt geben, was für die Maya unerträglich war. Ein Null- oder Übergangspunkt musste eingefügt werden. Sie schufen also einen weiteren Zyklus zur Erweiterung des ersten, der jedoch zeitversetzt war. Also würde die Zeit nicht anhalten, außer in jenen seltenen Momenten, wenn die Enden beider Zyklen zusammentrafen. Die Zeiträume zwischen diesen Daten wurden Kalender-Umläufe genannt, und die Endpunkte betrachtete man als Zeiten großen Aufruhrs. Den verschiedenen Göttern wurden Opfer dargebracht, und die Maya hofften, dass diese sich wieder beleben und die Aufgaben der neuen Kreisläufe aufnehmen würden, um die Welt erneut beginnen zu lassen.«
»Und weil die Mathematiker der Maya diese Kalenderzyklen Millionen von Jahre in die Vergangenheit und in die Zukunft verlängerten, hatte die Zeit keinen Anfang und kein Ende«, sagte Michael, die Augen vor Verwunderung weit aufgerissen. »Erstaunlich.«
»Das war es«, stimmte Juda zu. »Doch der Trick mit dem Hut kam erst noch – was ist, wenn die Lange Rechnung selbst zyklisch verlaufen würde?«
»Sie meinen die Kairos-Zeit?«, fragte Galen. »Aber ich dachte, eben das sei der Unterschied – dass Kairos-Zeit nicht von den Grenzen der linearen Zeit eingeschränkt wird.«
»Das ist richtig«, sagte Juda. »Theoretisch erstreckt sich die Lange Rechnung unendlich weit in die Vergangenheit und in die Zukunft. Aber denken Sie mal einen Augenblick darüber nach – wenn die Kairos-Zeit selbst auf irgendeine Weise zyklisch wäre, dann spielen die Gleichzeitigkeiten eine wesentlich bedeutendere Rolle. Die Kalender-Umläufe jeder Kombination von Zyklen wurden bestimmt, indem man die Anzahl der in den Zyklen enthaltenen Tage multiplizierte und sie dann durch den größten gemeinsamen Nenner teilte. Bedenken Sie also Folgendes: Was glauben Sie, würde nach Meinung der Maya passieren, wenn die Endpunkte all ihrer Kalender zusammenträfen, die Lange Rechnung mit eingeschlossen?«
»Das buchstäbliche
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