Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)
sagen, wenn ein Mann das braucht, um durchzukommen. Leidlich betuchten Leuten das, was sie haben, abzuknöpfen und sie dabei körperlich zu bedrohen!«
»Und hat er jemanden umgebracht oder verletzt?«, frage ich.
»Hab nichts davon gehört«, erwidert sie. »Aber es geht ums Prinzip, und außerdem gibt es keinen Rauch ohne Feuer irgendwo. Hat seine Pistole in Kutschen gehalten und die Leute bedroht. Geladen, versteht sich, mit Munition, wie sie von deinem Mr. Cornelius und seinesgleichen geliefert wird.«
»Er ist nicht …«
»Außerdem werden heute Morgen zwei ledige Frauen neben George Nigh baumeln. Wird bestimmt ein ziemlich großer Auflauf. Haben sich auf ihre Bäuche berufen, aber als die Oberschwestern sie untersuchten, fanden sie bei keiner ein Kind.« Sie erhebt sich mühsam.
»Ich hab gehört, dass jemand drüben in Westminster Bildtafeln aus Kirchen gestohlen hat. Sehr schäbig ist das. Du willst mir doch nicht sagen, dass der auch nicht bestraft werden soll! Das Verbrechen ist überall. Heutzutage muss sogar Gott mit Schloss und Riegel sichern, was zu Recht ihm gehört, und eins steht bestimmt nicht in der Bibel: ›Du sollst die Kirchen um sechs Uhr absperren.‹ Wenn sie den vom Galgen schneiden«, fügt sie hinzu, »wird er in die Surgeons Hall gebracht und auseinandergenommen, zerlegt im Namen der Wissenschaft. Sie schneiden ihn auf, um dem Volk Furcht und Respekt vor dem Gesetz beizubringen.« Sie schüttelt voll Bedauern den Kopf. »Was für eine Schande für seine Familie!«
Mit Grauen mache ich mich auf den Weg zum Fleischer.
Saul Pinnington steht nicht hinter der Verkaufstheke. Der Laden ist voller Kundschaft, und der Metzgerbursche spult mit glühendem Gesicht immer wieder seine Sätze herunter, während er gleichzeitig versucht, die Kunden zu bedienen.
»Mr. Pinnington ist nicht da, Madam, er ist zur Hinrichtung gegangen, will sich mit seinem ganzen Gewicht an die Beine hängen, damit es schneller vorbei ist. George Nigh ist ja ein schmächtiger Mann, nicht? Ich hab schon mal gesehen, wie einer erhängt wurde, ist schon ein Erlebnis.« Er ist völlig durcheinander.
»Was machst du denn bloß mit den Schweinebäckchen, junger Mann?«, ruft eine Frau ungeduldig. Mein Rücken schmerzt. Der Junge hebt seine dünne Stimme, um sich über dem Gesumme aus Klatsch und Tratsch im Laden Gehör zu verschaffen.
»Mein Gott, die Gebete, die sie sprechen, bevor sie ihnen den Karren unter den Füßen wegziehen! Ich hab schon einmal gesehen, wie jemand erhängt wurde, hab ich das schon gesagt? Oh, Mr. Pinnington war gestern in einer furchtbaren Stimmung, hat den ganzen Tag geflucht und nach den Katzen getreten. Immer wieder hat er gesagt: ›Dieser törichte Hundesohn …‹«
Eine alte Frau bahnt sich einen Weg zur Ladentheke. »Halt gefälligst den Mund!«, schimpft sie und stößt ihm ihren krummen Finger vor die Brust. Das Stimmengewirr im Laden ebbt ab, und die Leute drehen sich um, um sie anzustarren. »Heute Morgen wird der Vater von jemandem am Galgen baumeln!«, faucht sie. »Und du sprichst respektvoll von ihm, wenn du überhaupt was sagst.« Damit dreht sie sich um und bahnt sich wütend einen Weg zur Tür.
Der Junge hinter der Theke wird leichenblass, und ich sehe, dass seine Hände zittern, als er den Braten für Mrs. Blight einwickelt. Er kann nicht älter als zwölf sein, und er sieht aus, als kostete es ihn große Mühe, nicht in Tränen auszubrechen. Als er sich mit dem Handrücken über die weiße Stirn wischt, bleibt ein blutiger Streifen zurück. »Macht einen Schilling und zwei Pennys«, sagt er mit schwacher Stimme, ohne mich anzusehen. Der Braten ist so dick wie ein Männerbein, denke ich, und bei dem Gedanken, ihn mittags zu essen, wird mir übel.
* * *
»Eine Lehre ist das, sag ich«, erklärt Mrs. Blight später und zieht die Luft durch die Zähne. Seit ich sie heute Morgen gesehen habe, hat sie wohl einiges getrunken. Sie spricht zu laut und torkelt ein wenig. »Es heißt, Trinken macht zum Verbrecher. Ha! Ich bin einem oder zwei Gläschen Orangenlikör nicht abgeneigt«, sagt sie mit einem gackernden Lachen, »aber deshalb werd ich nicht gleich straffällig.« Sie sieht mich an und hickst. »Eine Lehre für uns alle, auf dem rechten Weg zu bleiben. Sollte vorgeschrieben werden, sich anzusehen, wenn jemand aufgeknüpft wird. Sollte ein Gesetz sein.«
Ich wende mich unwillig ab.
Mrs. Blight gluckst. »Sieh sie dir an«, sagt sie und zeigt auf mich. »Macht
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