Die Fastnachtsnarren. Humoresken
lange Beine in einer weiten, schlingernden Negligéhose, und nun stand er da, der Herr Stadtrath, Hausapotheker und Kohlenwerksbesitzer Johannes Hampel, stieß die beiden Fäuste so weit wie möglich ab, spaltete die dünne Linie zu einem letzten, kraftvollen Gähnen und trat dann an die Wand, wo über dem Waschtische der unvermeidliche Abreißkalender angebracht war.
»Was haben wir denn heute eigentlich für einen Datus? Sapperlot, den ersten October; das ist einer von den vier großen Unglückstagen im Jahre: den ersten Januar ist Adam aus dem Paradiese vertrieben, den ersten April ging die Sündflut los, den ersten Juli ist Sodom und Gomorrha untergegangen, und am ersten October wurde der Teufel vom Himmel auf die Erde heruntergeworfen. Nun geht er den ganzen Tag und besonders am Abende umher und treibt allerlei Unfug mit Mensch und Thier. Ich will nur gleich das Amulet umhängen, welches meine selige Mutter von der alten Zigeunerin erhalten hat; da bin ich sicher, daß mich der Böse ungeschoren läßt!«
Der wohlehrbare Herr Stadtrath gehörte nämlich zu dem jetzt immer kleiner werdenden Häuflein von Gläubigen, denen die Sage heilig, der Kalender untrüglich und die Welt der Geister und Gespenster eine feste, unumstößliche Gewißheit ist. Wer es wagte, an diesen Dingen zu rütteln, der hatte es sicher auf immer mit ihm verdorben, obgleich er sonst trotz seiner mancherlei Eigenheiten und wenn man ihn nur richtig zu nehmen verstand, ein Mann war, mit dem es sich ganz prächtig verkommen ließ.
Er fuhr in seine Kleidung und trat dann in die Wohnstube.
»Guten Morgen!«
»Guten Morgen, Papa,« antwortete das Mädchen, aber ohne die sonstige offene Freundlichkeit in den vollen, weichen Zügen.
Er warf einen halb prüfenden, halb unsicheren Blick auf sie.
»Ich hoffe, daß Du über Nacht zu Verstand gekommen bist! Wo bleibt die Milch?«
»Du wirst heute welche von der Kuh trinken müssen, Papa.«
»Von der Kuh? Warum?!«
»Weil – weil – das Mädchen mag es Dir selber sagen!« Sie eilte fort und brachte nach wenigen Augenblicken das sichtlich außerordentlich verlegene Dienstmädchen zur Thür hereingeschoben.
»Was ist’s,« fragte er erwartungsvoll, »daß ich heute Kuhmilch trinken soll? Weißt Du nicht, daß ich sie nicht vertragen kann?«
»Herr Stadtrath, die Ziege ist – die Ziege muß – die Ziege hat –«
»Nun, was ist, was muß, was hat meine Angoraziege? Heraus damit!«
»Die Angoraziege hat – sich – heute Nacht – heute Nacht erhängt.«
»Erhängt? Meine Angoraziege – erhängt? Du hast wohl den Verstand verloren, he?«
»Nein, den habe ich noch; aber die Ziege, die ist futsch!«
»Futsch, wirklich futsch?« Die Adern seiner Stirn schwollen, und seine Brauen zogen sich ganz bedenklich zusammen. »Ich sage Dir, wenn die futsch ist, so gehst Du auch futsch! Also vorwärts, was hat’s gegeben?«
»Sie muß eine unruhige Nacht gehabt und sich dabei mit dem Kopfe in den Strick verwickelt haben; denn als ich heute früh in den Stall kam, um sie zu melken, hing sie –«
»Nun, hing sie –?«
»An der Wand und –«
»Wand und –? Wird’s bald, he?«
»Und war todt.«
»Und war todt! Meine Angoraziege todt, erhängt, elendiglich am Stricke ums Leben gebracht, erstickt, erdrosselt, erwürgt, er– er– er– hinaus mit Dir, hinaus, sage ich, sonst – sonst –!«
Mit erhobenem Arme trat er auf das Mädchen zu, welches schleunigst hinter der Thür verschwand. Er wendete sich um und stieg mit langen Schritten im Zimmer auf und ab. Dann blieb er mit zorngeröthetem Angesichte vor der Tochter stehen.
»Anna, ist’s wahr?«
»Ja.«
»Ja! Also wirklich futsch! Gut, so muß auch die Sophie fort! Der habe ich die Ziege übergeben, und sie hat darauf zu sehen, daß so ein unerhörter Selbstmord nicht vorkommen kann. Sie hat dem Thiere falsches Futter gegeben, ja, falsches Futter; deshalb ist eine Indication eingetreten, wie wir Lateiner sagen, eine Verdauungsunmöglichkeit, ein Bauchgrimmen, welches der Angora den Strick um den Hals gedreht hat. Fort muß sie; ich kündige ihr gleich heute und schreibe ihr ein Attestament ins Dienstbuch, daß sie zeitlebens an den heutigen Tag gedenken soll, der – Sapperlot,« unterbrach er sich, »ja, ja, da hat man’s, heute ist der erste October, an dem der Teufel vom Himmel geworfen worden ist, und der fängt sich ganz herrlich an!«
Er begann seinen Sturmlauf von Neuem.
»Schon der Vorabend war ganz wunderschön. Kommt da der
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