Die Feuertaufe

»Bereitschaftsschiff« hin oder her: Die Evita war gänzlich unvorbereitet, als dieser manticoranische Dämon sich so unerwartet vor ihr materialisierte, buchstäblich aus dem Nichts auftauchte – in einem Abstand von weniger als sechstausend Kilometern.
    Bei einem solchen Abstand waren Raketen überhaupt nicht erforderlich. Die Backbord-Laser der Hawkwing wussten genau, wo sich das Ziel befand, und so wäre es außerordentlich schwierig für sie gewesen, ihr Ziel zu verfehlen.
    »Scheiße!«, keuchte Kgell Rønningen, während sein Hirn noch wie betäubt versuchte, all die Informationen zu verarbeiten, die jetzt auf ihn einstürzten. »Das ist ein gottverdammter Zerst … «
    Laser Nummer Zwei der Hawkwing landete einen Volltreffer auf der Brücke der Evita . Nicht, dass es überhaupt noch einen Unterschied gemacht hätte. Kein einziges Besatzungsmitglied dieses Piratenschiffes trug einen Raumanzug. Keiner von ihnen hatte auch nur im Mindesten damit gerechnet, hier angegriffen zu werden. Die meisten von ihnen befanden sich in ihren Kajüten, viele lagen noch in der Koje. Jeder Einzelne war gänzlich unvorbereitet, als Honor Harringtons Zerstörer ihr Schiff vollständig in Stücke schoss.
    Unter dem Feuer der Hawkwing barst der Rumpf der Evita nicht etwa – er verdampfte förmlich. Mühelos durchbohrten entsetzliche Strahlen kohärenten Lichts die große, verwundbare Blase, die nur aus ungepanzerter Legierung und Lebenserhaltungssystemen bestand. Atemluft quoll aus den entsetzlichen Wunden, Leichen und Leichenteile wurden ins All hinausgerissen. Und dann, ohne Vorwarnung, detonierte der Fusionsreaktor der Evita , und das gesamte Schiff verschwand in einem gleißenden, lodernden Flammenball.
    Edytá Sokolowska und Julian Watanabe waren ebenso betäubt wie zuvor Ron. Im Gegensatz zum Ersten Offizier der Evita jedoch lebten sie wenigstens noch lange genug, um zu begreifen, was hier vor sich ging.
    »Gott verdammt! «, platzte Watanabe heraus.
    Er wirbelte zu seiner eigenen Kommandokonsole herum und schlug mit der flachen Hand auf den Knopf, der den Gefechtsalarm auslöste. Überall auf der Plattform heulten Sirenen los, und Männer und Frauen blickten sich ungläubig um. Sie waren Verbrecher, keine Militärangehörigen! Es fehlten ihnen die Reflexe, um augenblicklich zu reagieren. Entsetzen und schiere, betäubte Überraschung ließ sie alle erstarren, zumindest kurzzeitig.
    Nicht, dass es noch einen Unterschied gemacht hätte.
    Die Hawkwing rollte zurück, richtete ihre Breitseite auf die Plattform aus. Honor hatte nie auch nur in Erwägung gezogen, die Hauptbewaffnung des Schiffes gegen die Station zum Einsatz zu bringen. Dafür befanden sich entschieden zu viele Unschuldige an Bord. Doch die Waffenmodule der Station hatte man eigens an Auslegern montiert, um sie weit über die wulstige, asymmetrische Oberfläche der Plattform hinausschwenken zu können, sodass man ein anständiges Schussfeld erhielt. Das bedeutete, diese Waffen waren allesamt weit genug von besagten Unschuldigen entfernt, und Honor konnte sie gefahrlos unter Beschuss nehmen.
    Trotzdem war das keine Aufgabe für die Hauptenergiebewaffnung ihres Schiffes. Außerdem besaßen die Nahbereichsabwehr-Cluster ohnehin eine deutlich höhere Schussrate. Jetzt eröffneten sie das Feuer, spien der Plattform einen kontrollierten Blitz nach dem anderen entgegen und zerstörten nacheinander sämtliche Waffensysteme von Casimir Depot mit entsetzlicher, müheloser Präzision.
    »Achtung, Casimir Depot!«, erklang eine Sopranstimme klar und deutlich über die allgemeine Notruffrequenz. Die Stimme war so eisig wie gefrorenes Helium. »Hier spricht Commander Honor Harrington von der Royal Manticoran Navy. Sämtliche Waffensysteme Ihrer Station wurden zerstört. Sollte eines der an Ihrer Station angedockten Schiffe versuchen, in irgendeiner Weise zu manövrieren oder weitere Waffensysteme zu aktivieren, werden diese Schiffe ebenfalls umgehend zerstört. Eine weitere Warnung wird es nicht geben. Falls Sie mir nicht glauben, dürfen Sie es gerne ausprobieren.«
    Der Hauptschirm des Coms flackerte, dann war wieder die Frau zu sehen, die sich als Daniela Magill vorgestellt hatte. Ruhig blickte sie in den Bildaufzeichner. Jetzt jedoch wurde das Bildmaterial nicht mehr manipuliert, und Edytá Sokolowska erstarrte das Blut in den Adern, als sie die Abzeichen auf dem Skinsuit der Frau erkannte. Kein Angestellter von Manpower Incorporated würde diese Abzeichen jemals