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Die Flammen der Dunkelheit

Die Flammen der Dunkelheit

Titel: Die Flammen der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyne Okonnek
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jetzt entglitt, desto stärker spürte sie eine Eifersucht in sich wachsen, die ihr früher völlig unbekannt war. Sie begann ihrerseits zu hassen, hätte diesem eitlen Geschöpf, das sich so erhaben wähnte, am liebsten den Hals umgedreht. Aber noch war die Königin wichtig, Dallachar erhielt ohnehin schon mehr Aufmerksamkeit als ihr lieb war. Nicht nur er war unglücklich über die ständige Beobachtung, sei es durch den Erwählten, die Bediensteten oder die Menschen in der Stadt. Für sie brachte das die Erschwernis mit sich, jeden einzelnen Augenblick äußerst wachsam sein zu müssen, um zu verhindern, dass er sich unbewusst verriet, und im Grunde war das für sie alle beide ungut. Vielleicht war es diese ständige Überwachung, wogegen er sich so heftig wehrte, dachte sie, aber sicher war sie nicht. Sie selbst spürte zunehmend Müdigkeit, fühlte sich gefangen in einem Netz aus Zwängen, und es gab kein Entkommen, wollte sie nicht alles gefährden. Natürlich hatte sie gewusst, dass es schwer sein würde, den Auftrag zu erfüllen, als sie ihn übernahm. Aber sie hatte keine Vorstellung gehabt, wie zermürbend das Warten darauf war, dass Dallachar endlich erwachsen wurde, und wie sehr ihre Ungeduld, den jahrhundertelangen Schlaf der Dämonen zu beenden, ihr zu schaffen machte. Wann konnten sie sich erheben und die Sonne wiedersehen?
    »Grian sei mit mir und schenk mir Geduld!«, murmelte sie und presste die Stirn gegen die kalte Fensterscheibe. Plötzlich wurde sie durch einen Schatten, der über den Hof huschte, aus ihren Grübeleien gerissen. Ihre scharfen Augen sahen die Kleidung einer Zofe und dann erkannte sie das Mädchen an ihrem Gang. Es war Dervla, eine Vertraute der Königin. Was hatte sie zu nächtlicher Stunde draußen zu suchen? Dídean hatte schon immer ein Misstrauen gegen die ehrgeizige Zofe gehegt, deren Durchtriebenheit ihr nicht verborgen geblieben war. Dass die Königin ausgerechnet dieser falschen Schlange vertraute, hielt sie allerdings für passend. Die beiden kommen bestimmt wunderbar miteinander aus und haben Freude daran, gemeinsam ihre Ränke zu schmieden, dachte sie, während Dervla nach einem kurzen Wortwechsel mit der Wache durch das Tor verschwand. Dídean verließ ihren Beobachtungsposten und machte sich auf den Weg zu Dallachars Ostturm. Vielleicht hatte Dervlas nächtlicher Ausflug etwas mit dem Jungen zu tun. Dídean entschied, diese Nacht auf Schlaf zu verzichten.

    Das milchig weiße Licht, das von nirgendwoher zu kommen schien, färbte Teich und Wasserfall türkis. Der nasse Fels glitzerte, als wäre er mit Diamanten durchsetzt, und vielleicht war er das auch. Regenbogen schwebten in der Gischt. Es roch nach Jasmin und Moos. Bunte Fische glitten durch die Wellen und sprangen in eleganten Bögen aus dem Wasser, als tanzten sie zu einer Melodie. Libellen durchschnitten die Luft, ihr wundersamer Rhythmus folgte einem Muster, das nur für ihre Facettenaugen sichtbar war. Das Schillern ihrer Körper und Flügel war kalt wie das der Edelsteine, die eine Bank aus Marmor unter einem Baum zierten. In dem sattgrünen Buschwerk am Ufer sangen Vögel, aber es konnte ebenso gut der Wind sein, der durch das angrenzende Labyrinth pfiff. Hierher zog sich Aithreo zurück, wenn er die Schleier nicht mehr ertragen konnte, die die steinernen Wände ihrer unterirdischen Zuflucht verhüllten. Schon lange empfand er sie kaum noch als Schmuck, sondern sah sie eher als Gleichnis für die Schleier, die ihre Zukunft verbargen. In seinen düstersten Stunden, wenn die Last der Verantwortung für sein Volk ihn zu sehr niederdrückte, war er versucht, den Stoff herunter- und in Stücke zu reißen. Nur die Angst, dem Wahnsinn zu verfallen, hielt ihn davon ab.
    Seit beinahe zwölf Jahren gab es Hoffnung für sie, aber je näher sie dem Tag der Befreiung kamen, desto stärker wurde seine Ungeduld und er zweifelte zunehmend an seinem Glauben. Was, wenn Maidin sie alle genarrt hätte und der Plan scheiterte? Ein ums andere Mal richtete sich seine ohnmächtige Wut auf die Prophetin, die alles kommen sah, ohne auch nur den Versuch zu machen, es zu verhindern. Nicht einmal ihre eigene Tochter hatte sie geschützt! In klareren Momenten erkannte er den Widerspruch in seinen Gedanken und sah davon ab, Maidin für die Vergangenheit verantwortlich zu machen. Aber dass sie selbst in der größten Not nicht mehr zu ihnen gesprochen hatte, wollte er ihr nie verzeihen. Es durfte nicht der Wille der Natur sein, dass ihre

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