Die Flirtfalle
die Augen. Ja, es war genau der passende Augenblick, um Mark die Frage zu stellen, die mir einfach keine Ruhe geben wollte.
„Hast du eine schwere Kindheit gehabt?“, flüsterte ich in sein Ohr. Er lachte und sagte natürlich nicht, wie ich denn darauf käme. Ich ließ dann Mark wissen, dass mir sein Gedicht sehr gut gefallen hatte und fragte ihn, ob er nur Lyrik oder auch Prosa schreiben würde. Mark lachte wieder und sagte, er hätte kein Gedicht, sondern eine ganz normale Nachricht aufs Band gesprochen. Dann wechselte er das Thema und meinte, es gäbe nichts, was ihn glücklicher stimmen würde, als die Aussicht, mich öfter als nur einmal alle paar Wochen zu sehen. Bevor er ging, fragte er mich, wann wir uns denn wieder sehen würden. Ich antwortete, ich wüsste es nicht, aber auf jeden Fall würde ich Zeit brauchen. Daraufhin gab er mir einen Abschiedskuss und ging.
Es kam mir alles wie ein Traum vor. Ich lief ins Wohnzimmer, legte mich auf die Couch und begann zu singen. Irgendwann dachte ich an Lisa und der Zustand ungetrübten Glücks schlug abrupt in Frust um. Ich hatte es schon wieder getan und zwar während sie sich um mein Kind kümmerte! Verflixt, ich hatte mich aufgeführt wie ein hirnloses Kaninchen in der Paarungszeit. Was hatte ich mir bloß dabei gedacht? Nichts. Das war es ja gerade. Es war mir unmöglich, in Marks Anwesenheit irgendwelche Denkprozesse zu betätigen. Mein schlechtes Gewissen Lisa gegenüber trieb mich langsam aber sicher in den Wahnsinn. Es musste etwas geschehen. Während meines Schwarzwaldurlaubs hatte ich die wunderbare Entdeckung gemacht, dass das Erfassen von Kurzgeschichten eine sehr beruhigende Wirkung auf mich hat, also holte ich mir den neuen Schreibblock, fest entschlossen, eine schöne, realitätsbezogene Geschichte zu schreiben. Die lange Lügengeschichte konnte noch warten.
‚Tagebuch einer Sünderin’, setzte ich als Überschrift ein und begann über den Zeitpunkt nachzudenken, an dem ich aufgehört hatte, ein untadeliges, sündenfreies Leben zu führen. Ich dachte erst, es war der Zeitpunkt gewesen, als ich mich mit Heiko eingelassen hatte, denn obwohl wir den heiligen Bund der Ehe nicht eingegangen waren, hatten wir praktisch wie Eheleute zusammengelebt und das ganze zwei Monate lang. Dann fiel mir aber die Geschichte ein, als ich auf meiner Schulabschlussfeier ein Glas Limonade in Petras Gesicht schüttete, weil mich Petra vor allen Leuten als ‚Die hochmoralischste Jungfrau der deutschen Nation’ bezeichnete, weil ich keinen Freund hatte, womit sie ein allgemeines Lachen auslöste. Heute bereute ich diese Tat, die meine geistige Unreife zum damaligen Zeitpunkt deutlich zeigte. Eine weitere Erinnerung kam in mir hoch. Es war in der Grundschule. Ich hatte eine Mitschülerin so geschubst, dass sie unglücklich auf ihr Gesicht fiel und Nasenbluten bekam. Abends klingelte meine Klassenlehrerin bei uns an der Haustür, um ihre Besorgnis über die Zunahme gesellschaftspolitischer Probleme wie „Auffälliges Sozialverhalten und Vandalismus bei Kindern im Schulalter“ zu äußern. Sie empfahl Mutti, ein ausführliches Gespräch mit mir zu führen, nebst Gang zum Psychologen. Als Nächstes sah ich mich als achtjähriges Mädchen, das Mutters Schminkkasten entwendet hatte, um Puppen zu schminken, danach als eine verheiratete Frau, die sich stur weigerte, die Hemden ihres berufstätigen Ehemannes zu bügeln. Nein, nein. Die Welt braucht mein belangloses Geschreibsel nicht. Ich nahm das Blatt und zerfetzte es.
Eine Stunde später war ich auf dem Weg zu Lisa. Ich musste Justin dort abholen. Als Lisa die Haustür öffnete und ich über Puppenbeine, -arme und -köpfe stolperte, wusste ich, dass die Kinder wieder Krankenhaus gespielt hatten.
„ Melanie, endlich! Wir haben Besuch. Annas Ehemann ist da!“, flüsterte sie und deutete auf die verschlossene Küchentür hin. Wir horchten.
„ … dass ihr beide heute und sofort mit mir mitgeht! Anna, es ist mir verdammt noch mal ernst! Wenn ihr weiterhin hier bleibt, dann ist es aus! Verstehst du, Anna, endgültig aus!“, hörten wir eine Männerstimme schreien. Der Mann war aber gut. Für eine, mit ihrer Ehe vollkommen unzufriedene Frau wie Anna, war die Drohung mit dem Aus so, als würde man versuchen, einen Hund mit einer Bratwurst zu verscheuchen.
„Komm mit!“ Lisa führte mich ins Wohnzimmer. „Meine Mutter, Marta und die Kinder waren gerade in die Stadt gefahren, Anna und ich
Weitere Kostenlose Bücher