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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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wurde, dass es mit Heyno einen Überlebenden des Schiffsunglücks gab und zwei Reiter losziehen sollten, um nach weiteren Männern der Resens zu suchen, musste Luburgis ihren Trauerschleier abnehmen.
    Conrad hatte den Moment seiner Anweisung wohl gewählt. Als alle Holdenstedes mitsamt den Mägden am Abend in der Stube zum Mahl versammelt waren, sprach er sie mit strenger Stimme an.
    »Nimm deinen Schleier ab, Eheweib.«
    Luburgis zuckte zusammen. Vor diesem Moment hatte sie sich seit Tagen gefürchtet. Noch immer war ihr Gesicht an einigen Stellen grünlich und geschwollen. Auch ihre Nase wies noch immer die seltsame Krümmung auf, in die sie Conrads Faust geschlagen hatte. Doch das Schlimmste für sie war das Fehlen ihrer vorderen Zähne. Ihre Oberlippe hatte bereits begonnen, sich ein wenig nach innen zu wölben, und sie fühlte sich wie eine alte Frau. Starr saß sie da, voller Angst vor den Reaktionen der Anwesenden. Noch nie hatte sie sich so geschämt.
    »Gehorche, Weib! Ich werde mich nicht wiederholen.« Wütend stieß Conrad die Spitze seines fettbeschmierten Messers in den Holztisch, sodass alle anwesenden Frauen zusammenzuckten.
    Ragnhild hatte als Einzige eine Ahnung, was sie gleich zu sehen bekommen würden, und schaute vorsorglich auf die Maserung der Tischplatte. Mit langsamen Bewegungen und gesenktem Blick enthüllte Luburgis ihr Gesicht. Nichts war zu hören, keiner sagte ein Wort, doch in den Augen der Frauen waren großes Entsetzen und tiefes Mitgefühl zu erkennen.
    Conrad sah jeder Einzelnen lange ins Gesicht. Es waren keine Worte nötig, um klarzustellen, dass er weder über Luburgis’ Entstellung noch über seine unangefochtene Machtposition innerhalb der Familie zu reden gedachte. Irgendwann zog er sein Messer wieder aus der Tischplatte und setzte sein Mahl fort – ungeachtet dessen, dass niemand außer ihm mehr etwas herunterbekam.
    Vater Lambert ging in dem kärglichen Wohnraum seines Pfarrhauses fahrig auf und ab, als es zweimal lang und zweimal kurz an seiner Tür pochte. Den ganzen Morgen über hatte er bereits auf dieses vereinbarte Zeichen gewartet; endlich hatte das Warten ein Ende. Ein Mann trat ein, und der Geistliche schloss die Tür.
    »Seid gegrüßt, Johannes vom Berge. Ich habe bereits auf Euer Kommen gewartet.«
    »Gott zum Gruße, Vater«, antwortete Johannes mit einer kleinen Verbeugung und ging sogleich auf den Krug Wein zu, der auf dem Tisch bereitstand.
    »Wo ist unser dritter Mann?«, fragte der Pfarrvikar mit einer Geste in Richtung Tür.
    Johannes hatte keine Zeit mehr zu erklären, dass sie entschieden hatten, etwas zeitversetzt zu kommen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Just in dem Moment, als er den Mund öffnete, klopfte es erneut zweimal lang und zweimal kurz.
    Hastig riss Vater Lambert die Tür auf, um sie nach einem prüfenden Blick auf die Straße schnell wieder zu schließen. Der Eingetretene machte eine spöttelnde Geste hinter dem übervorsichtigen Geistlichen, sodass Johannes sich das Lachen verkneifen musste.
    »Da wären wir wieder vereint, Männer. Gott sei Dank diesmal in einer gastlicheren Umgebung als dem Verlies«, sprach Johannes einleitend. Gleich darauf bot er dem nach ihm Gekommenen einen vollen Becher Wein an.
    Es war Willekin von Horborg.
    »Danke, mein Freund. Zu so früher Stunde kann ich eine Stärkung gut gebrauchen.«
    »Erzählt, Willekin, hat sich Conrad bisher an unsere Weisungen gehalten und sich niemandem anvertraut?«
    Der Angesprochene nahm einen tiefen Schluck aus dem Becher, bevor er antwortete. »Wenn er die Absicht gehabt hätte, jemandem von der Nacht im Verlies zu erzählen, dann hätte er es wohl gestern mir gegenüber erwähnt, als wir zusammen einen Krug Wein in meiner Wohnstube geleert haben.«
    »Sehr gut«, erwiderte Johannes. »Offenbar haben meine Worte und Eure Fäuste ihre Wirkung nicht verfehlt. Was ist mit Symon von Alevelde? War er schon dort, um die Vermählung abzusagen?«
    »Meine Nachfrage hat ihm zwar sichtliches Unbehagen bereitet«, berichtete Willekin, »aber nach ein paar Bechern Wein gestand er mir, dass er seine Pläne mit der Dame Ragnhild aufgrund der jüngsten Ereignisse geändert hätte. Symon von Alevelde war wohl zunächst etwas ungehalten angesichts der verschobenen Hochzeit, doch selbst einem Dummkopf wie ihm ist wohl schnell klar geworden, dass man ein Weib, das noch nicht erwiesenermaßen Witwe ist, nicht erneut verheiraten kann.«
    » Verschoben ist ja wohl kaum der richtige

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