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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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gewesen sein musste. Obwohl sie sich erfolgreich zwang, nicht zu weinen, war der Ausdruck in ihren Augen wohl so herzerweichend, dass Ghesa plötzlich Ragnhilds Hände mit den ihren umschloss.
    Als Heyno geendet hatte, waren alle drei in Gedanken an dem Strand, an dem er angespült worden war. Nach einigen Momenten der Stille fand Ragnhild als Erste ihre Stimme wieder. »Ich danke Euch!«
    Heyno nickte ihr kurz zu. Sein Gesicht war von Trauer gezeichnet.
    »Sicher war es schwer für Euch, über das Erlebte zu sprechen«, fügte Ragnhild etwas leiser hinzu. Sie bekam keine Antwort; und die erwartete sie auch nicht. Obwohl sie sehr dankbar darüber war, nun mehr über das schreckliche Unglück erfahren zu haben, war sie auch etwas enttäuscht. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, doch etwas in ihr blieb unbefriedigt.
    Noch immer hielt Ghesa ihre Hände fest. »Was habt Ihr nun vor mit diesem Wissen?«, fragte sie ihren edlen Besuch sanft.
    Ragnhild zuckte mit den Schultern und gab wahrheitsgemäß zurück: »Ich weiß es nicht genau. Vielleicht werde ich …«
    »Da ist noch eine Sache, die ich Euch erzählen möchte«, unterbrach der Smutje die beiden, ohne den Blick zu heben. »Ich habe den Kaufmann im Wasser gesehen. Der Sog des Schiffs hatte zunächst fast alles und jeden mit in die Tiefe gezogen. Irgendwie schaffte ich es, mich in meinem Fass über Wasser zu halten, und plötzlich sah ich, wie der junge Herr vor mir auftauchte. Ich habe versucht ihn auf mich aufmerksam zu machen, aber die Wellen waren so hoch und das Unwetter so laut, dass ich es nicht geschafft habe und ihn schließlich wieder aus den Augen verlor. Dann trieb ich ab.« Er machte eine kurze Atempause und schaute Ragnhild dann genau in die Augen. »Ich kann Euch nicht sagen, ob er es geschafft hat, aber ich habe noch niemals einen Mann so kämpfen sehen. Er hat sich, solange ich ihn sehen konnte, über Wasser gehalten.«
    Ragnhild hatte unbewusst angefangen, Ghesas Hände immer fester zu drücken. So saß sie da und lauschte voller Anspannung seinen Ausführungen.
    »Als der edle Rat mich befragte, habe ich gelogen. Ich sagte den werten Herren, dass ich nichts am Strand gefunden hätte; doch das stimmte nicht ganz.« Die Stimme des Schiffskochs war jetzt kaum mehr als ein Flüstern. »Ich habe mich einfach nicht getraut, es zu sagen. Möglicherweise bedeutet es gar nichts, und dann wären die Herren vielleicht gram mit mir gewesen und hätten mich der falschen Aussage wegen bestraft.«
    »Was habt Ihr gesehen?«, fragte Ragnhild nun auch im Flüsterton.
    »Als ich nach dem Aufwachen den Strand abgelaufen bin, entdeckte ich plötzlich Spuren. Es waren die Spuren von zwei Menschen, und zwischen ihnen war eine Schleifspur zu erkennen. Ich verfolgte ihre Spuren, so weit ich konnte, doch irgendwann endete der Sand des Strandes auf einer Wiese, und ich verlor die Fährte. Das ist alles, was ich Euch noch erzählen kann.«
    Sehr langsam ließ Ragnhild nun die Hände der Fischersfrau los. Sie verstand nur allzu gut, was diese Neuigkeit bedeuten konnte. Möglicherweise war Albert noch am Leben. Doch genauso gut könnte es sich auch um ein anderes Mitglied der Besatzung handeln oder um Jäger, die ihre Beute hinter sich herschleiften. Über die dritte Möglichkeit wollte Ragnhild gar nicht erst nachdenken, denn es war ebenso wahrscheinlich, dass es zwei Menschen mit einer Leiche gewesen sein könnten. Diese Spuren konnten alles oder auch nichts bedeuten.
    Ghesa schaute ihren Mann mit offenem Mund an. Ihre rauchige Stimme durchschnitt die Stille.
    »Aber dann gibt es Hoffnung?« Sie klatschte vor Aufregung in die Hände und drehte ihr Gesicht Ragnhild zu. »Habt Ihr gehört, was mein Mann gesagt hat? Vielleicht lebt der Herr noch. Euer Vormund sollte schnell jemanden ausschicken, um nach Eurem Gemahl suchen zu lassen.« Ghesas Tatendrang schien mit einem Mal ungebremst. Nichts erinnerte mehr an die misstrauische Frau, die sie noch zu Beginn des Gesprächs gewesen war.
    Ragnhild schaute sie etwas erstaunt an. Wusste sie denn nichts von den Begebenheiten der letzten Wochen? Dann fiel ihr schlagartig ein, dass sie aus zwei verschiedenen Schichten Hamburgs kamen. Dass die Menschen der Unterschicht nichts von den Machenschaften der Oberschicht wussten, war durchaus nicht ungewöhnlich.
    »Leider ist das alles nicht so einfach«, gestand Ragnhild. »Es wurden zwar bereits vorgestern ein Bote und ein Sprachkundiger ausgesandt, um dort, wo die Wrackteile

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