Die Frau ohne Gesicht
im Vorgarten stehen, als Lia klingelte. Sarah Hawkins öffnete sofort, sie hatte Lia bereits erwartet. Sie warf einen Blick auf Paddy, stellte aber keine Fragen.
Lia ging hinein. Arthur Fried saß am Küchentisch. Er hatte mit Sarah Tee getrunken. Das Bild wirkte befremdend häuslich.
Lia legte eine Plastikmappe auf den Tisch, die drei DVD s in separaten Boxen enthielt.
»Sind das alle Kopien?«, fragte Fried.
»Es ist eine digitale Aufzeichnung. Das sind die Exemplare, die wir davon gebrannt hatten.«
Fried wollte wissen, ob sie das Original noch hatten.
»Nein«, log Lia. »Das wurde gelöscht.«
Fried nickte. »Du kannst gehen. Ich hoffe, Level wird eines Tages wieder aus dem Sumpf der lügnerischen Skandalpresse aufsteigen.«
Lia lächelte.
Das hast du dir vorher zurechtgelegt, Arthur.
Sie sagte kein Wort zu Fried, als sie ging, doch sie schüttelte Sarah Hawkins die Hand. Sarah war unfähig, zu sprechen, und ihre Hand zitterte in Lias.
Paddy brachte Lia nach Hause. In der Kidderpore Avenue angekommen, blieb er plötzlich stehen. »Sag mal, wie fühlst du dich eigentlich?«
»Wieso?« Lia sah ihn erstaunt an.
Die Begegnung mit Fried gerade eben sei schließlich keine Kleinigkeit gewesen, meinte Paddy. Und die Ereignisse in der Lagerhalle in Sutton lägen nur knapp eine Woche zurück, außerdem sei Lia von der Polizei vernommen worden. Sie habe Dinge erlebt, die jeden aus dem Gleichgewicht bringen könnten.
»Es geht mir ganz gut. Das wundert mich eigentlich. Ich hatte heute nicht einmal Angst. Eher hätte ich Lust gehabt, mich auf den Kerl zu stürzen, aber so dumm bin ich dann doch nicht.«
»Ein starkes Mädchen.«
Lia lachte.
»Eine richtige Halbstarke.«
»Ich kenne das Gefühl«, sagte Paddy ernst.
Man hatte auf ihn geschossen, und er war mehrmals zusammengeschlagen worden. »Die ersten paar Mal habe ich mir fast in die Hose gemacht. Aber dann war ein Schlag nur noch ein Schlag. Die Mystik war verschwunden.«
In diesem Job passiere einem eben manches, fuhr Paddy fort. Dennoch gehe der Alltag weiter, wenn man nicht allzu schwer verletzt worden sei. Er selbst habe im Lauf der Jahre immer weniger Angst empfunden, sei zugleich aber sehr vorsichtig geworden.
»Ich habe mir vorgenommen, zumindest nicht deshalb zu sterben, weil irgendein kleiner Gauner vor lauter Nervosität abdrückt.«
»Vielleicht gewöhne ich mich ja auch irgendwann daran. Nur an Schüsse werde ich mich wohl nie gewöhnen.«
»Auch das kann man üben. Lass uns irgendwann mal auf eine Schießbahn gehen, dann lernst du das auch gleich mal.«
Lia musste lächeln.
»Danke. Vor ein paar Wochen hätte ich noch nicht geglaubt, dass mir die Idee gefallen würde.«
46.
Mari sitzt in ihrem Arbeitszimmer.
Über den Bildschirm ziehen die Newsticker einer Nachrichtenagentur, Neuigkeiten aus Großbritannien und aller Welt, doch Mari sieht sie nicht.
Sie denkt nach.
Arthur Fried hat sie ausgebootet und Sarah Hawkins durch seine Drohungen zum Schweigen gebracht. Das hat ihm eine Atempause verschafft. Fried weiß, dass er etwas tun muss, um seine Karriere zu retten.
Für Mari ist der Verlust des Videos ein schwerer Rückschlag. Die Video-Aktion lässt sich nicht so leicht ersetzen. Sie war der Plan A.
In der Regel hat Mari auch immer einen Plan B und C im Hinterkopf, so arbeitet einfach ihr Verstand. Aber in diesem speziellen Fall ist es schwierig, den ersten Plan zu ersetzen. Vielleicht unmöglich.
Es kann sein, dass die Zeit zu knapp wird. Es sind nur noch wenige Monate bis zur Wahl, und Fried wird alles tun, um seinen lädierten Ruf aufzupolieren. Er kann es immer noch schaffen, ins Parlament gewählt zu werden.
Maris Gedanken drehen sich im Kreis. Sie ranken sich immer wieder um dasselbe: Fried, Sarah und das Video.
Das ist nicht gut, das weiß Mari. Sie muss sich von dem lösen, was war. Sie muss an etwas anderes denken, etwas Neues finden.
Mari weiß, dass Rico in seinem Zimmer an den Computern tüftelt. Berg räumt seine Werkstatt auf. Paddy erledigt seine Jobs. Maggie hat frei. Lia arbeitet bei Level , joggt und erholt sich. Sie alle haben ihren Platz.
Maris Platz ist hier. Ihr Kopf hat noch immer eine Lösung gefunden. Früher oder später hat sich ein neuer Gedanke gebildet.
Mari denkt nach.
47.
Der Montag war ausgefüllt. Lia musste einen ganzen Stapel von Artikeln bearbeiten und hatte gleich nach Feierabend einen Termin bei ihrer Psychiaterin.
Als sie mit der U-Bahn zu Brookes Praxis fuhr, merkte sie, dass
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