Die Frau ohne Gesicht

Fried nicht erpressen. Ich verlange kein Geld. Ich gebe ihm das Foto kostenlos, auf diesem Weg. Meine Freundin Daiga V ī tola ist eines entsetzlichen Todes gestorben. Davor hatte sie ein furchtbares Leben. Sie war ein guter Mensch, und sie hätte ein anständiges Leben verdient gehabt.
    Ich werde nun anderswo ein anständiges Leben beginnen. Dieses Video ist der erste Schritt.«
    Zum Schluss wurden die Telefonnummern und Webadressen von drei Hilfsorganisationen für Gewaltopfer eingeblendet.
    Es war eine fantastische Arbeit. Doch das Ergebnis war beklemmend und es bedrückte Lia, dass die Geschichte so erschütternd und eindringlich war. Zumal sie wusste, dass sie nicht der Wahrheit entsprach.
    Die meisten Menschen zweifelten keine Sekunde am Wahrheitsgehalt des Videos. Elzas Worte klangen so schmucklos und aufrichtig, dass es unmöglich schien, sie in Frage zu stellen. Das Foto verstärkte den Eindruck der Echtheit.
    Auch die erfahrenen Journalisten bei Level schluckten die Geschichte auf Anhieb.
    »Allmächtiger Gott«, sagte Timothy Phelps. »Jetzt stürzt Fried endgültig ab. Der Herr Pastor landet in einer Hölle, aus der er nie mehr in die Politik zurückkehrt. Nicht einmal wenn die Engel selbst versuchen, ihn herauszuholen.«
    Innerhalb kurzer Zeit erhoben sich auch Proteste gegen die Veröffentlichung des Videos. Die Organisation The Wall erhielt Mails und Anrufe, in denen ihr ethische Verantwortungslosigkeit vorgeworfen wurde.
    Den Nachrichten zufolge erwog die Polizei, der Organisation zu verbieten, das Video auf ihrer Website zu präsentieren. Es konnte sich um schwere Verleumdung handeln, und in diesem Fall wäre die Bereitstellung des Videos ebenfalls eine Straftat. Doch die Schwelle für ein Aufführungsverbot war hoch; mit sofortiger Wirkung konnte es nur verhängt werden, wenn die nationale Sicherheit gefährdet war. Andernfalls musste es bei Gericht beantragt werden.
    Es war zudem unmöglich, das Video noch zu stoppen. Innerhalb weniger Stunden war es von zahllosen Websites übernommen worden. Öffentliche Aufrufe gegen Fried und gegen Gewalt wurden an einem einzigen Tag von Hunderttausenden unterstützt. In den Nachrichtensendungen wurden Bürger gefragt, ob sich ihre Einstellung zu Fried, zu häuslicher Gewalt und zur Prostitution verändert habe. Das ganze Land sprach über das Thema.
    Der Komiker John Blatt versuchte, in einer Live-Sendung auf Channel Four Witze darüber zu reißen: »Ist es häusliche Gewalt, wenn man eine Prostituierte verprügelt? Das dürfen Sie mich nicht fragen. Ich wünschte, meine Familie wäre so vielköpfig und sexy wie die von Arthur Fried.«
    Damit handelte er sich aber Ärger ein. Ein großer Teil des Publikums verließ bei laufender Kamera das Studio, und Channel Four wurde mit Protestanrufen überflutet.
    Arthur Fried trat nicht an die Öffentlichkeit. Reporter, Pressefotografen und Kameraleute belagerten sein Haus, doch man wusste nicht einmal, ob er sich dort aufhielt. Er hatte in der Vorwoche in fünf Städten an die Wähler der Fair Rule appelliert, zu ihm zu stehen. Nun bekam niemand Verbindung zu ihm.
    Gegen sechs Uhr abends gab das Büro der Fair Rule eine Pressemitteilung heraus, die nur aus zwei Sätzen bestand: »Der Parteivorsitzende Arthur Fried ist zutiefst erschüttert über die Verletzung seiner Ehre. Er verurteilt jegliche Gewalt und ist überzeugt, dass die polizeilichen Ermittlungen die Wahrheit ans Licht bringen werden.«
    Alle Kommentare hoben daraufhin hervor, dass Fried in der Pressemitteilung nicht ausdrücklich bestritt, Frauen generell oder die im Video erwähnten Prostituierten geschlagen zu haben. In den Abendnachrichten der BBC erklärte ein Redakteur, wenn kein Wunder geschehe, sei es um den Wahlerfolg der Fair Rule und um Frieds Karriere schlecht bestellt.
    »Bücher, die Enthüllungen dieser Art enthalten, werden als Kiss-and-tell -Bücher bezeichnet. Heute ist ein neues Zeitalter angebrochen. Wir haben ein Kiss-and-kill -Video gesehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Fried nach diesem Vorfall in die Politik zurückkehrt«, erklärte der erfahrene Journalist.
    Lia sah die Abendnachrichten zu Hause. Der Fall hatte auch international Aufmerksamkeit gefunden. CNN zeigte das Video und brachte dazu Kommentare von Experten. Obwohl an keiner Stelle angedeutet wurde, Fried hätte etwas mit Daiga V ī tolas Tod zu tun gehabt, empfanden viele allein die Misshandlung als unbegreiflich brutal.
    Das ist sicher Maris bestes Werk. Sie hat Fried