Die Frau von Tsiolkovsky (German Edition)
ihrer
Schritte mehr unbeobachtet. Ständig suchte das Draufgängerische in ihr nach
neuen Herausforderungen, suchte die Grenzen des Möglichen weiter und weiter
nach außen zu schieben, um endlich etwas zu finden, das ihren intellektuellen
Fähigkeiten entsprach und ihrem Hang zu sich allzu rasch einstellender
Langeweile entgegenwirkte.«
»Irgendwie komme ich mir jetzt klein und unbedeutend vor«,
sagte Gail, um deren Mund sich verräterisch verschmitzte Fältchen zeigten.
»Gail, wir sind klein und unbedeutend – wir alle. Außerdem
ist das nur die Information, die ich aus nicht offiziellen Quellen habe.
Inwieweit sie tatsächlich der Wahrheit bzw. den Tatsachen entsprechen, möchte
ich nun nicht weiter bewerten.«
»Was denken Sie?«, fragte Gail und hoffte die Antwort im Gesicht
ihres Chefs ablesen zu können.
»Erst einmal müssen wir abwarten, bis wir die Beweise
tatsächlich in unseren Händen halten. Wenn sie das halten, was unser Informant
versprochen hat, sollte es kein Problem sein, sie zur Rechenschaft zu ziehen.
Wenn aber nicht …«, Peter Wises Stirn wurde mit einem Mal wieder von diesen
tiefen Linien durchzogen.
»Was, wenn sie dafür verantwortlich ist und es aber keine
Zeugen gibt oder Zeugen, die sich nicht als solche zu erkennen geben wollen,
weil sie Angst vor möglichen Konsequenzen haben? Was wenn …«
Unterbrechend fiel er ihr ins
Wort. »Gail, ich schätze Ihren Enthusiasmus in dieser Angelegenheit sehr, doch
diese ›Was-wenn-Fragen‹ bringen uns im Augenblick absolut nicht weiter.
»Und, gibt es schon etwas Neues?«, wollte Gail, deren Tatendrang
nur noch von ihrer Quirligkeit übertroffen wurde, am nächsten Morgen wissen.
Dabei stand sie, ihr Gewicht ständig von einem auf das andere Bein verlagernd
und mit ihren Armen schlenkernd, vor ihrem Chef, sehr darum bemüht, ihn mit
ihrer weitschweifenden Körpersprache nicht zu verletzen.
»Haben Sie es denn noch nicht gehört?«, fragte ein
verdatterter Wise. Er hob den rechten Arm, und es war nicht eindeutig zu
erkennen, ob er damit seiner Aussage mehr Dramatik verleihen oder sich vor der
Gestik seiner Kollegin schützen wollte.
»Was denn gehört? Ich bin gerade erst aufgestanden und gleich
mit meinem Scooter ins Büro gekommen«, antwortete sie und es klang beinahe so, als
hätte sie deshalb ein schlechtes Gewissen.
»Also, um ganz exakt zu sein«, begann Wise, »bei uns gibt es
eigentlich nichts Neues, aber die Nachrichtensender bringen die Schlagzeile
seit drei Uhr morgens jede Stunde, inklusive Bildmaterial.«
»Bildmaterial? Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz«, meinte
Gail, während sie nervös am hochgeschlossen Kragen ihres Overalls
herumnestelte.
»Kommen Sie mit.« Als sie das Besprechungszimmer betraten, wies
Peter Wise mit einer ausladenden Handbewegung auf einen der unzähligen leeren
Sessel, die den Raum noch trostloser erscheinen ließen, als er ohnedies war.
Die Scheiben verdunkelten sich. »Und hören Sie bitte auf, an ihrem Kragen
herumzufummeln, das macht mich ganz nervös. – Danke!«
Gail setzte sich, legte die Hände in ihren Schoß. Als das
keine Wirkung auf ihre zappelnden Finger hatte, die sich bereits wieder
selbstständig machen wollten um mehrere helle Pünktchen von ihrer Epaulette zu
stupsen, setzte sie sich kurzerhand auf ihre Hände und sah gebannt auf den Bildschirm,
der mit einem Mal zum Leben erwachte. Das Bild zeigte einen winzigen Raum mit einer
Koje. Es schien jemand darin zu liegen. Eine Frau mit langem blondem Haar saß
mit dem Rücken zur Kamera. »Gibt es keinen Ton?«
»Doch natürlich, aber an
manchen Stellen ist er so leise, dass man ihn kaum verstehen kann.« Wise drehte
die Lautstärke auf Maximum. Gleichmäßiges Rauschen war zu vernehmen.
»… es ist wirklich von immenser Wichtigkeit, dass die Arbeit
morgen getan wird«, sagte eine Frauenstimme in der Aufzeichnung.
»Ja … ich … weiß«, sagte eine andere. »Ich werde sie … auch sofort
… machen sobald es … mir wieder … besser geht.« Die Worte kamen abgehackt und
stoßweise.
»Das weiß ich, aber dann wird es möglicherweise zu spät
sein. Schauen Sie, Nicole …«
Gail sah ihren Vorgesetzten mit riesigen Augen und offenem
Mund an. »DIE Nicole?«, fragte sie.
»Ich fürchte, genau DIE.«
»… da sie derzeit krank geschrieben sind, kann ich Ihnen
nicht befehlen rauszugehen. Sie müssten das schon ›freiwillig‹ tun.«
»Warum sollte ich … das machen, wenn … es mir … hundeelend
geht?« Sie atmete
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