Die fünf Leben der Daisy West
Lebensmittelgeschäft fragt, wohin wir unterwegs sind, als hätte die Stadt ein »Besetzt«-Schild am Ortseingang aufgestellt und er persönlich ein Interesse daran, dass wir die Stadt so schnell wie möglich wieder verlassen.
Nachdem wir unsere Einkäufe erledigt haben, fahren wir wieder zu dem Haus zurück, und Mason und Cassie machen sich an dieArbeit. Ich wandere ziellos von einem Raum zum nächsten. Hilflos. In der Küche setze ich mich an den Tisch, der aussieht, als käme er von der Heilsarmee, und starre auf die Wand über dem Herd. Nach einer Weile bemerke ich die Fettspritzer. Mein Blick wandert auf den Boden und mir fällt auf, dass er unter dem Tisch eine andere Farbe hat als dort, wo man geht.
Ruckartig stehe ich auf. Ich nehme die Aufgabe an. Viel Kontrolle über mein Leben habe ich derzeit zwar nicht, aber das hindert mich nicht daran zu putzen.
Mehr als vier Stunden später weiß ich: Boden schrubben, Fenster säubern und – würg – Toiletten reinigen eignet sich hervorragend, um seinen Zorn abzuarbeiten. Als Mason und Cassie mir zufällig über den Weg laufen, sehen sie mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank. Doch während ich noch das letzte Zimmer putze, sehe ich endlich klar. Ganz ruhig gehe ich im Stillen die Argumente durch, die ich vorbringen werde, sobald meine Notizen zu Fall 22 angekommen sind.
Ich muss Mason überzeugen, Gott aufzuspüren.
Später verbringt Cassie eine Stunde damit, meinen Computer »herzurichten«. Ich weiß, dass sie mir damit helfen will, aber eigentlich möchte ich nur allein sein. Jetzt, da sich die Wut gelegt hat und ich einen Plan im Kopf habe, beginne ich prompt, wieder über Matt nachzugrübeln. Ich würde gern sofort mit ihm Kontakt aufzunehmen, doch die Roboterfrau programmiert ja gerade meinen Rechner neu.
»Was machst du da?«, frage ich und beuge mich über ihre Schulter, während sie schneller irgendwelche Codes eintippt, als ich sprechen kann.
»Ich stelle sicher, dass niemand herausfinden kann, wo du bist«, antwortet Cassie. Der Rhythmus der leise klappernden Tasten wirkt überraschend beruhigend auf mich.
»Aber wenn du fertig bist, kann ich ihn dann benutzen?« Ichbin ein wenig nervös, weil ich mir nicht sicher bin, was ich Matt schreiben soll.
»Ja«, bestätigt Cassie, ohne mich anzusehen. Ich gehe um sie herum und setze mich ihr gegenüber auf die Kante des knarrenden Betts. Der Bildschirm spiegelt sich in Cassies Brille, sodass es aussieht, als hätte sie keine Augen.
Überrascht zucke ich zusammen, als sie plötzlich vom Schreibtisch aufsteht.
»Geschafft«, sagt sie betont freundlich.
»Danke«, rufe ich ihr hinterher, als sie bereits den Raum verlässt.
Nachdem sie fort ist, zwinge ich mich, zuerst zu bloggen und mich bei Megan zu melden, bevor ich mir erlaube, Matt zu schreiben.
Als es endlich so weit ist, sprudeln die Worte aus mir heraus, als hätten sie nur darauf gewartet, auf die leere Seite zu springen.
Matt,
auch wenn es sich gerade anfühlt, als wären wir auf unterschiedlichen Planeten, denke ich dauernd an dich. Ich kann nur hoffen, dass sich unsere Umlaufbahnen bald kreuzen, denn ich vermisse dich, wie ich nie geglaubt hätte, dass man jemanden vermissen kann.
In Liebe,
Daisy
Ich drücke auf »Senden« und warte eine Weile auf eine Antwort, die nicht kommt. Dann lege ich mich in ein Bett, in dem es wahrscheinlich vor Wanzen nur so wimmelt und denke vor dem Einschlafen noch, dass ich sogar mit Ungeziefer leben könnte, wenn nur Matt neben mir läge.
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
38
»Mit wem sprichst du?«, frage ich Mason, als ich am nächsten Tag die Küche betrete. Er hat sein Smartphone am Ohr und eine Tasse Kaffee in der Hand. Die Störung kommentiert er mit einem finsteren Blick und einem Kopfschütteln.
»Wenn es David ist, frag doch bitte nach meinem Rucksack«, flüstere ich ihm zu. Mason ist gut darin, sich auf mehrere Dinge gleichzeitig zu konzentrieren. Er sieht mich sofort etwas freundlicher an und hebt den Daumen. Ich stecke Brot in den Toaster und warte. Da wir keine Marmelade haben, schmiere ich eine butterähnliche Substanz auf die Scheiben, in der Hoffnung, dass sie mich nicht umbringt. Dann setze ich mich hin und beginne zu essen. Dabei beobachte ich Mason und versuche ihn mit meinen Gedanken zu zwingen, den Rucksack anzusprechen. Als ich schon glaube, dass er es vergessen hat, bedankt er sich für die Laborausstattung und
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