Die Fuenfzig vom Abendblatt
plötzlich um und ging an den Rotationsmaschinen vorbei dem Ausgang zu. Draußen, im breiten Flur des Erdgeschosses, öffnete der Fahrstuhlführer bereits die Schiebetür seines Lifts, als er den Dicken kommen sah. Aber der Chef des Nachtexpreß ging an ihm vorbei.
Dr. Malborns Zimmer lag in der vierten Etage. Dorthin wollte er also offenbar noch nicht. Er hielt sich weiter in dem breiten Gang des Erdgeschosses auf. Am Ende des Flurs war im Raum 47 die Botenmeisterei untergebracht.
Die vier oder fünf Ausfahrer, die zwei Laufburschen und auch der alte Botenmeister sprangen fast allesamt von ihren Stühlen hoch, als ihnen im Rahmen der geöffneten Tür plötzlich ihr breiter Chef höchstpersönlich gegenüberstand. Keiner von ihnen hatte es je erlebt, daß Dr. Malborn hier aufgetaucht war.
„Was steht zu Diensten, Herr Doktor?“ Der alte Botenmeister hatte sich wieder gefaßt und kam hinter seinem schmalen Schreibtisch hervor.
Ob der Boß der Ausfahrer schon anwesend sei, wollte Dr. Malborn wissen.
„Nein — noch nicht. Aber er muß jeden Augenblick hier sein. Gewöhnlich kommt er gute zwei Stunden, bevor die Auflage ausgeliefert wird —“
Der Botenmeister bemühte sich, eine möglichst exakte Auskunft zu geben. Er hatte ohnehin vor, am Ende des Monats um eine Gehaltsaufbesserung einzukommen. Da war es gut, sich ins rechte Licht zu setzen.
„Er soll sich sofort bei mir melden. Ja — das wäre alles.“ Dr. Malborn wandte sich wieder zur Tür, die der Botenmeister mit einer kleinen Verbeugung vor ihm aufriß. „Sehr wohl. Werde alles nach Wunsch veranlassen, Herr Doktor — “
Kaum zehn Minuten später stand Bulle im vierten Stock des Nachtexpreß-Gebäudes vor seinem Chef.
„Nun?“ war alles, was er vorläufig von Dr. Malborn zu hören bekam.
Jetzt erst nahm Bulle seine Mütze ab. Der kurze, unpersönliche Ton war ihm doch in die Glieder gefahren und hatte ihn daran erinnert, vor wem er stand.
„In Ordnung, Herr Doktor. Alles in Ordnung. Ich komme gerade vom ,Monopol’. Hatte mich dort wieder in einer der Telefonzellen verabredet. Der Junge hat zugesagt. Hat mehr Haare auf den Zähnen, als ich dachte. Aber trotzdem, der Ballon steigt! Und zwar heute abend. Allerdings, zweihundert Mark hat der Kerl verlangt. Macht schon ganz stolze Preise, der Bengel.“
Aber Dr. Malborn nickte nur und paffte den Rauch seiner Zigarre steil in die Luft.
Also noch heute!
„Gut, sehr gut sogar“, knurrte der dicke Chefredakteur. „Gerade heute ist es ausgezeichnet---“
Dr. Malborn angelte nach seiner Brieftasche. Jetzt spielten zweihundert Mark keine Rolle mehr.
Ausgerechnet mit einem Messer in der U-Bahn
„Ein Himbeereis“, sagte Harald.
„Sehr wohl, junger Herr“, erwiderte ein Fräulein mit einer blütenweißen Schürze und verschwand wieder.
Das Café Josty lag dem Hotel „Monopol“ gegenüber, und Harald hatte an einem der kleinen Tische Platz genommen, die dicht am Fenster standen. Jetzt rückte er mit seinem Stuhl etwas zur Seite. Bis er direkt hinter der Gardine saß.
Die Gardine war gelb und durchsichtig wie ein Fischernetz.
Ausgezeichnet, dachte Harald befriedigt, von draußen verdeckt sie mich, wie es sich für eine gute Gardine gehört, und wenn ich nahe genug an sie herangehe, sehe ich trotzdem, was ich sehen will.
„Bitte sehr“, sagte in diesem Augenblick das Fräulein mit der blütenweißen Schürze und stellte eine Portion Himbeereis vor Harald auf den Tisch.
„Bitte, ich möchte gleich bezahlen!“ bemerkte Voss junior und griff in seine Tasche.
Während Harald dann das Himbeereis Löffel um Löffel auf seiner Zunge zergehen ließ, sah er pausenlos zu den vier Telefonzellen hinüber, die vor dem Hotel „Monopol“ nebeneinander an dem Bürgersteig standen. Die Türen dieser Telefonzellen waren aus Milchglas. Man konnte also deutlich sehen, daß die zweite Zelle von links besetzt war. Und zwar von einer ziemlich schmalen Gestalt, die offenbar ein dunkles Jackett trug.
Mario hätte seinen Abendblatt-Pullover vielleicht doch besser zu Hause gelassen — überlegte Harald. Man weiß nie, was kommt — In diesem Augenblick tauchte der Boß der Nacht-expreß-Ausfahrer auf. Er stoppte dicht neben den Telefonzellen und sah sich um. Dann stellte er sein Fahrrad mit dem Pedal gegen die Bordschwelle und stieg ab.
Harald biß sich auf die Unterlippe und bekam ganz schmale Augen. Drüben auf der anderen Straßenseite holte sich Bulle gerade eine Zigarette aus der Tasche, zündete
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