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Die Gedichte

Die Gedichte

Titel: Die Gedichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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Abend)

    DREIZEHNTE ANTWORT

    FÜR ERIKA
zum Feste der Rühmung

    Taube, die draußen blieb, außer dem Taubenschlag,
wieder in Kreis und Haus, einig der Nacht, dem Tag,
weiß sie die Heimlichkeit, wenn sich der Einbezug
fremdester Schrecken schmiegt in den gefühlten Flug.

    Unter den Tauben, die allergeschonteste,
niemals gefährdetste, kennt nicht die Zärtlichkeit;
wiedererholtes Herz ist das bewohnteste:
freier durch Widerruf freut sich die Fähigkeit.

    Über dem Nirgendssein spannt sich das Überall!
Ach der geworfene, ach der gewagte Ball,
füllt er die Hände nicht anders mit Wiederkehr:
rein um sein Heimgewicht ist er mehr.

    Ragaz , am 24. August 1926

Heitres Geschenk von den kältern
Bergen
versucht in den Juni den Sprung;
blinkend in Bach und Behältern
drängt sich Erneuerung.

    Überall unter verstaubten
Büschen
lebendiger Wasser Gang;
und wie sie selig behaupten,
Gehn sei Gesang.

    Durch den sich Vögel werfen, ist nicht der
vertraute Raum, der die Gestalt dir steigert.
(Im Freien, dorten, bist du dir verweigert
und schwindest weiter ohne Wiederkehr.)

    Raum greift aus uns und übersetzt die Dinge:
daß dir das Dasein eines Baums gelinge,
wirf Innenraum um ihn, aus jenem Raum,
der in dir west. Umgieb ihn mit Verhaltung.
Er grenzt sich nicht. Erst in der Eingestaltung
in dein Verzichten wird er wirklich Baum.

    Wie Seligkeit in diesem sich verbirgt,
so eingewirkt, daß nichts mehr sie zerstöre;
wie bloßes Spiel vollkommener Akteure
so ungebraucht ins Dauern eingewirkt.

    So eingewirkt in schmiegende Figur
ins leichte Wesen dieser Ziegenwolle,
ganz pures Glück, unbrauchbar von Natur
rein aufgegeben an das wundervolle

    Geweb in das das Leben überging.
O wieviel Regung rettet sich ins reine
Bestehn und Überstehn von einem Ding.

    Begreifst du, wie ich rätseln muß, um dich,
fühlendes Kind, in alledem zu finden,
weil hinter Geige, Bogen, Bogenstrich
mir Hand und Arm in der Bewegung schwinden.

    Dein Haar hat dieser Geige Leib gestreift,
dein Kinn berührt sie, [deine Schulter trägt sie]
… … … … … … … … … … … … …

    Oh erhöhe mich nicht!
Wer weiß, ob ich rag.
Heb nur leise dein Angesicht,
daß dir mein Niederschlag
fast wie dein eigenes Weinen sei.

    Stürmt meine Stärke an dir vorbei,
stelle dich aufrecht in meinen Wind;
schließe die Lider vor meinem Wehn,
sei blind
vor lauter Mich-sehn.

    IM KIRCHHOF ZU RAGAZ
NIEDERGESCHRIEBENES:

    I
    Falter, über die Kirchhof-Mauer
herübergeworfen vom Wind,
trinkend aus den Blumen der Trauer,
die vielleicht unerschöpflicher sind …

    Falter, der das geopferte Blühen,
das nachdenklicher geschieht,
in das unbedingte Bemühen
aller Gärten einbezieht.

    II
    Toten-Mahl

    Unsere Türen schließen sehr fest;
aber die waagrechte Tür,
selbst aus dichtem Porphyr,
läßt
ganz unmerklich zu uns
jene, die schon des Grunds
starke Verwandlung umfaßte:
schwankend und schweigenden Munds
kommen sie langsam zu Gaste …

    Decke, Seele, den Tisch,
den sie, in Heimweh, umkreisen,
reiche ihnen die Speisen,
den verschwiegenen Fisch,
den sie berühren im Stehn …
Nichts wird von ihnen vermindert,
alles bleibt heil, doch das hindert
nicht, daß sie grader entgehn.
Sie sind auf Seiten dessen,
was uns vermehrt, unermessen,
brauchen nicht Nahrung und Wein;
doch, daß sie’s tastend erkannten,
macht sie uns zu Verwandten, –
und die Speise wird rein
von der nötigen Tötung:
sie verlöschen die Rötung
alles tierischen Bluts.
Schaffen uns Künste der Küche
Lockung und Wohlgerüche,
ihre Reinigung tuts.

    III
    Kennst du das, daß durch das Laubwerk Scheine
fallen in den Schatten, und es weht …
: wie dann in des fremden Lichtes Reine,
kaum geschaukelt, blau und einzeln, eine
hohe Glockenblume steht:

    Also bist du, bei den Toten, immer
in ein ausgespartes Licht gestellt,
langsam schwankend … Andre leiden schlimmer.
Und in deinem unbenutzten Schimmer
spielt der Überfluß der Unterwelt.

    IV
    Wir könnten wissen. Leider, wir vermeidens;
verstießen lange, was uns nun verstößt.
Befangen in den Formen unsres Leidens,
begreifen wir nicht mehr, wenn Leid sich löst
und draußen ist: als blasser Tag um Schemen,
die selber nicht mehr leiden, sondern nur,
gleichmütig mit der schöpfenden Figur,
das Maß des herrenlosen Leidens nehmen.

    V
    Unstete Waage des Lebens
immer schwankend, wie selten
wagt ein geschicktes Gewicht
anzusagen die immerfort andre
Last gegenüber.

    Drüben, die ruhige
Waage des Todes.
Raum auf den beiden
verschwisterten

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