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Die Gefährtin Des Lichts erbin2

Die Gefährtin Des Lichts erbin2

Titel: Die Gefährtin Des Lichts erbin2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: jemisin
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geahnt.
    Während meiner Kindheit hatte ich allzeit die merkwürdige Erinnerung, an einem abgeschlossenen, warmen und nassen Ort zu sein. Ich fühlte mich sicher, war aber dennoch einsam. Ich hörte Stimmen, aber niemand sprach mit mir. Ab und zu berührten sie mich. Ich berührte sie im Gegenzug ebenfalls, aber das war alles.
    Viele Jahre später erzählte ich diese Geschichte Madding. Er sah mich seltsam an. Ich fragte ihn, was los sei, aber er antwortete nicht sofort. Ich bohrte weiter, und schließlich antwortete er: »Es hört sich so an, als ob du in der Gebärmutter warst.«
    Ich erinnere mich, dass ich lachte. »Das ist verrückt«, sagte ich. »Ich dachte. Lauschte. Hatte Bewusstsein.«
    Er zuckte mit den Schultern. »Das war bei mir auch so, bevor ich geboren wurde. Ich denke, das geschieht Sterblichen manchmal auch.« Er sagte nicht: Aber das sollte es nicht.
    »Was hast du vor?«, fragte Sonnenschein mich am nächsten Morgen.
    Er stand am Fenster auf der anderen Seite des Zimmers und glühte sanft im Morgengrauen. Ich setzte mich schläfrig auf und unterdrückte ein Gähnen.
    »Keine Ahnung«, sagte ich.
    Ich wollte noch nicht sterben. Das war leichter zuzugeben, als ich gedacht hatte. Ich hatte Madding getötet; mit dem Wissen zu leben wäre ... war nahezu unerträglich. Doch mich selbst zu töten oder zuzulassen, dass Sonnenschein oder die Arameri mich töteten, erschien mir noch schlimmer. Es war, als ob ein Geschenk als Folge von Maddings Tod weggeworfen wurde.
    »Wenn ich lebe, werden die Arameri mich für die- Götter- wissen- was benutzen. Ich will nicht noch weitere Tode auf meinem Gewissen haben. Aber ...« Ich seufzte und rieb mir das Gesicht. »Du hattest recht damit, mich töten zu wollen. Ihr hättet uns aber alle erwischen müssen. Das war der einzige Fehler, den die Drei gemacht haben.«
    »Nein«, sagte Sonnenschein. »Wir haben uns geirrt. Etwas musste gegen die Dämonen unternommen werden — das kann man nicht leugnen —, aber wir hätten eine andere Lösung finden müssen. Sie waren unsere Kinder.«
    Ich öffnete den Mund und klappte ihn wieder zu. Ich starrte ihn an. Er war nur noch ein blasser Umriss gegen das gedämpfte Schimmern des Fensters. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Also wechselte ich das Thema. »Was hast du denn vor?«
    Er stand da, wie er es so oft morgens in meinem Haus in Schatten getan hatte, und sah die Sonne mit durchgedrücktem Rücken, hocherhobenem Haupt und verschränkten Armen an. Jetzt stieß er allerdings einen leisen Seufzer aus und wandte sich mir zu. Dabei lehnte er sich mit beinahe greifbarem Uberdruss gegen das Fenster. »Ich habe keine Ahnung. Nichts in mir ist unverletzt oder richtig, Oree. Ich bin der Feigling, für den du mich hältst, und der Narr, für den du mich nicht gehalten hast. Schwach.« Er hob seine Hand, als ob er sie noch nie gesehen hatte und ballte sie zur Faust. Das sah gar nicht schwach für mich aus, aber ich stellte mir vor, wie ein Gott das sehen mochte. Knochen, die gebrochen werden konnten. Fleisch, das nicht auf der Stelle heilte. Sehnen und Adern, die so empfindlich waren wie Spinnfäden.
    Darunter lag ein Geist, wie eine zerbrochene, schlecht zusammengeklebte Teetasse.
    »Also ist es die Einsamkeit?«, fragte ich. »Sie ist dein wahrer Gegenpol — nicht die Finsternis. Das wusstest du nicht?«
    »Nein, nicht bis zu jenem Tag.« Er senkte den Kopf. »Aber es hätte mir bewusst sein müssen. Einsamkeit ist die Finsternis der Seele.«
    Ich stand auf und ging zu ihm. Dabei stolperte ich über die dunklen Teppiche. Ich fand seinen Arm und tastete mich zu seinem Gesicht hoch. Er ließ es zu und legte seine Wange sogar in meine Hand. Ich glaube, genau in diesem Moment fühlte er sich sehr einsam.
    »Ich bin froh, dass sie mich in dieser sterblichen Form hiergelassen haben«, sagte er. »Wenn ich durchdrehe, kann ich keinen Schaden anrichten. Als ich im Reich der Finsternis gefangen war, dachte ich, dass ich genau das tue. Dich anschließend dort zu haben ... ich wäre ohne dich erneut zerbrochen.«
    Ich runzelte die Stirn und dachte daran, wie er sich an jenem Tag an mich geklammert hatte. Er schien überhaupt nicht mehr loslassen zu wollen, nicht einmal für einen kurzen Moment. Kein Mensch konnte Einsamkeit auf die Dauer ertragen - ich wäre in der Leere auch verrückt geworden —, aber Sonnenscheins Bedürfnis war nicht menschlich.
    Mir fiel etwas ein, das meine Mutter während meiner Kindheit oft zu mir gesagt hatte.

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