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Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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flüchtete sich in eine Mauernische.
    »Aus, Wuff!«, befahl Amra kurz, ließ die Mistgabel fallen und ging zu Barbara, um sie aus ihrer Not zu befreien. Die junge Frau versuchte unglücklich, Spinnweben und Staub von ihrem sauberen schwarzen Habit zu klopfen.
    »Was machst du denn hier?«, fragte Amra verwundert, verbesserte sich dann aber sofort: »Was führt Euch denn her, Schwester Barbara?«
    Es war erwünscht, dass die Schwestern einander förmlich anredeten, nur die Älteren und natürlich die Oberin duzten die Novizinnen.
    »Ich soll hier arbeiten«, flüsterte Barbara.
    Erst als sie ihre erstickte Stimme hörte, wurde Amra klar, dass sie beide gerade das Schweigegebot brachen. Auch während der Arbeit sollten die Schwestern nicht miteinander reden. Aber Amra musste herausfinden, warum man Barbara so plötzlich von ihrer Tätigkeit im Skriptorium abkommandiert hatte. Barbara war geschickt in der Bebilderung von Abschriften und konnte dadurch ein wenig ausgleichen, dass sie arm war wie eine Kirchenmaus. Das Kloster nahm Bestellungen für solche Bebilderungen entgegen, und die Auftraggeber – Bischöfe oder reiche Adlige – zahlten dafür in beachtlichem Maß. Barbara erhielt natürlich nichts von diesen Einkünften. Sie schlief in ihrer rauen Kutte im Schlafsaal und kaute hartes Brot wie die anderen mittellosen Schwestern, aber sie war immerhin höher geachtet. Zumindest bis jetzt.
    »Warum das denn?«, erkundigte sich Amra und hatte wieder den Wunsch, ihre Mitschwester tröstend zu umarmen.
    Die Einteilung zur Stallarbeit war ganz klar eine Degradierung. Barbara wirkte denn auch zutiefst aufgewühlt und unglücklich, ihre Augen waren verweint. Amra wurde bewusst, dass sie ihr an diesem Tag zum ersten Mal überhaupt in die Augen sah. Gewöhnlich lief Barbara nur mit gesenktem Blick umher, und im Dormitorium, wo sie sich noch am ehesten entspannte, war es dunkel. Jetzt aber erkannte Amra hellblaue, riesige und arglose Augen in einem zarten, hellhäutigen Gesicht. Die langen, goldblonden Wimpern ließen vermuten, dass sich unter der strengen Haube blondes oder hellbraunes Haar verbarg. Schwester Barbara war eine Schönheit, oder wäre eine gewesen, hätte man sie nicht in die unförmige Tracht der Benediktinerinnen gezwungen.
    »Hast du irgendetwas angestellt?«, fragte Amra mitfühlend. Sie schaffte es einfach nicht, dieses verstörte Mädchen weiter förmlich anzusprechen.
    Barbara versuchte, gleichzeitig zu nicken und den Kopf zu schütteln. »Ja … nein … aber … ich … ich hab mit einem Mann geredet!« Das Geständnis brach schließlich aus ihr heraus, aber gleich darauf senkte sie wieder vor Scham den Kopf, als fürchte sie Amras strafenden Blick. »Dabei … dabei wollte ich doch gar nicht …«
    Amra gingen die schrecklichsten Bilder durch den Kopf. War irgendein Mann Barbara zu nahegetreten, hatte sie gar geschändet? Eine Liebesgeschichte konnte sie sich bei dieser stets gefügigen und braven jungen Mitschwester nicht vorstellen. Amra zog Barbara auf einen Strohballen, setzte sich neben sie und legte den Arm um sie. Barbara versteifte sich sofort und rückte von ihr ab, aber dann begann sie, herzzerreißend zu schluchzen. Amra wartete geduldig, bis sie sich beruhigt hatte – und endlich die ganze Geschichte erzählte.
    Barbara arbeitete zurzeit an der Bebilderung einer Bibel, die Fürst Pribislav von Mikelenburg in Auftrag gegeben hatte. Wie es üblich war, richteten sich Menge und Art der Arbeit danach, was der Auftraggeber zu zahlen gewillt war. Er stellte das Gold und die Pigmente, die zur Herstellung der Farben verwandt wurden. Manchmal schaffte das Kloster diese Materialien an, doch oft kaufte der Auftraggeber sie auch direkt, was sich bei Fürst Pribislav anbot – Mikelenburg war schließlich als Marktflecken bekannt. Natürlich mussten die Wahl der Farben und die benötigte Menge mit dem Buchmaler abgesprochen werden, mitunter ein schwieriges Geschäft, wenn die ausführende Schwester oder der Mönch in strenger Klausur lebte. Dann mussten der Abt oder die Äbtissin helfend eingreifen. Missverständnisse waren häufig. Den Kanonissen von Walsrode war der Kontakt mit Außenstehenden allerdings nicht vollständig verboten. Sogar mit Männern durften sie reden, sofern eine Mitschwester oder besser noch die Äbtissin dabei war.
    Mutter Clementia pflegte Barbara also hinzuzuziehen, wenn Materialien bestellt werden mussten. Wegen der Bibel für Fürst Pribislav war sie schon mehrmals in die

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