Die Geisterseherin (German Edition)
sich sogar schon, ob Oyuki das Essen auf dem Herd hatte stehen gelassen und dann verschwunden war, ohne zu bedenken, was da alles hätte passieren können. Aber schließlich tauchte sie auf, mit einem Wischmop in der Hand.
„Du solltest hier nicht so herum schreien, Mikoto. Dein Vater kann jeden Moment zurückkommen und es wäre nicht gut, wenn er hört, wie du nach mir rufst. Du weißt ja, was Geister angeht ist er etwas... nennen wir es: "eigenwillig"...“, tadelte sie ihre Tochter.
„Das ist mir gerade echt so was von scheißegal! Was soll das alles hier eigentlich?“
Sie machte eine ausladende Bewegung, die sowohl das Essen, als auch den Wischmop, sowie die tadellos funkelnde Wohnung, die Mikoto erst gar nicht aufgefallen war, einschloss.
„Ich verstehe deine Frage nicht, Mikoto...“
„Verdammt, Mutter! Ich meine das Essen! Das Geputze! Alles! Erst dieses Frühstück und jetzt noch das ganze Curry!“
„Ja und? Ich habe auch dein Zimmer mal aufgeräumt, die Wäsche gebügelt und jetzt putze ich gerade das Bad. Ich weiß... ich war lange weg und habe mich darum nicht wirklich um meinen Teil der Pflichten gekümmert. Aber als ich die Woche dich und deinen Vater beobachtete, da wurde mir klar, dass ich euch helfen musste.“ Mikoto schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn, bevor sie auf den Boden rutschte, wo sie für einen Moment sitzen blieb, fassungslos ihre Mutter anstarrend, die anscheinend nicht in der Lage war, ihr Handeln zu begreifen, nicht begriff, was ihre Taten überhaupt bewirkten.
„Mikoto!“
Oyuki stellte den Wischmop ab und kniete sich neben ihre Tochter. „Ist alles okay, Mikoto-chan? Geht es dir gut? Du solltest dich nicht so überarbeiten, das ist schlecht für das Herz, weißt du? Atme einfach ganz ruhig ein und aus und lass alle Probleme von dir gleiten.“ Mikoto schob den Geist ihrer Mutter von sich weg, die sich das sogar gefallen ließ.
„Du hast gar nichts kapiert...“, murmelte sie.
„Wo... wovon redest du?““
„Das Essen... das Putzen... hast du denn jemals überlegt, wie Vater darauf reagieren könnte?“
Ihre Stimme war auf den ersten Blick wieder ganz ruhig in der Tonlage, aber wenn man genau hinhörte, dann merkte man, dass sie unmerklich bebte.
„Er wird sich sicherlich freuen. Vielleicht nimmt er sogar deinen Hausarrest zurück.“
Mikoto hätte in diesem Moment am liebsten angefangen zu weinen. Natürlich würde sich ihr Vater freuen, aber die Konsequenzen davon wollte sie nicht tragen! Um die ging es doch!
„Verdammt, Mutter! Denk doch einmal nach, bevor du etwas tust! Vater wird denken, dass ich so gut gekocht habe, dass ich das Bad und mein Zimmer putzte... Er denkt ja bereits, dass das Frühstück von mir ist!“
„Natürlich wird er das und um ehrlich zu sein, ich sehe darin nichts Schlimmes. Es ist doch nur ein Lob für dich, obwohl du nichts getan hast.“
„Ich sehe die Probleme aber!“
Mikoto stand ruckartig auf und schaltete sämtliche Herde aus, nahm einen Topf Curry und fragte sich, ob sie diesen nicht einfach den Abguss runter schütten sollte.
„Mikoto, was tust du da!? Das Essen wird doch ganz kalt!“ „Verdammt, versteh das doch, Mutter! Wenn du damit anfängst, dann werde ich das irgendwann übernehmen müssen! Überleg doch mal, wenn du auf die andere Seite gehst, dann werde ich diejenige sein, die hier den totalen Stress hat, weil Vater dann erwartet, dass ich das weiter so mache! Und dann habe ich erst recht keine freie Zeit mehr!“ Sie kippte das Gemüsecurry schließlich in den Mülleimer. Ihr Vater war ein Gewohnheitstier, der sich sofort daran gewöhnen würde, dass „seine Tochter“ ihm immer brav ein Essen kochte, wenn er nach Hause kam. Er meinte es nicht einmal böse dabei, das war einfach seine Art. Oyuki säte dadurch nur eine Menge Probleme in der Zukunft. Sicherlich erschien Mikoto's Reaktion auf eine nett gemeinte Geste ein wenig voreilig und übertrieben, aber sie handelte aus Angst, dass ihre Mutter das tatsächlich jeden Tag abziehen würde. Wäre zwischen dem Frühstück von ihr und diesem Mittagessen eine oder zwei Wochen Zeit vergangen, dann hätte sie vermutlich nicht einmal etwas dagegen gesagt.
Als sie den Backofen öffnete, um die zugegeben sehr lecker duftenden Brote zu entsorgen, gab es plötzlich einen lauten Knall.
Für einen Moment begriff Mikoto gar nicht, was passiert war. Erst, als ein brennender Schmerz sich auf ihrer Wange einstellte, blickte sie mit großen Augen zu ihrer Mutter, die sich die
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