Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)
seine Arme auf die Knie und ich konnte seine verkrampften Muskeln am
Kinn sehen. „Als ob das so einfach wäre!“
Ich schwieg. Stattdessen streckte ich ihm meine
Hand entgegen. Er bemerkte es und nahm sie. Hände haltend saßen wir am See und
schwiegen. Auf eine mir bisher unbekannte Weise war ich fasziniert und
gefesselt von diesem Gefühl der Nähe zueinander und ich spürte eine Mischung
aus angenehmer Aufregung und Ruhe zugleich. Bao erging es ebenso, das konnte
ich spüren. Keiner von uns beiden wollte diesen Moment aufgeben.
Das Zwitschern der jungen Rohrdommeln, die langsam
erwachten und mit ihren frühen Rufen die nahende Morgendämmerung ankündigten,
riss uns aus unseren Gedanken. Wir mussten eiligst zurück, damit niemand
Verdacht schöpfte.
Die folgenden Monate waren ein einziges Versteckspiel.
Wir mussten nicht nur vor Cheng-Si und Wang Anshi auf der Hut sein; der Palast
hatte viele Augen und stets waren wir in Gefahr, von jemandem entdeckt zu
werden. Um einen Verdacht gar nicht erst aufkommen zu lassen – wir wurden nach
wie vor von unseren beiden persönlichen Beobachtern kontrolliert –, hatten wir
beschlossen, uns nach jenem Abend am Bootshaus für eine längere Zeit besser
nicht zu sehen.
Doch selbst ohne diese Absprache wäre es schwierig
gewesen, sich zu treffen. Cheng-Si fand immer wieder Gelegenheiten, sich in
meiner Nähe aufzuhalten und soweit ich gehört hatte, beschäftigte Wang Anshi
Bao während des kompletten Herbstes mit politischen Diskussionen.
So blieben uns nur die Träume.
Einmal hatte es Hoffnung auf ein Wiedersehen gegeben,
doch auch diese platzte sehr bald. Cheng-Si ließ mich nicht aus den Augen;
dabei wäre die Gelegenheit perfekt gewesen.
Die Fronten zwischen Kanzler und Ehrwürdiger
Hauptfrau hatten sich immer mehr verhärtet, bis es schließlich zu einem Eklat
gekommen war, der großen Trubel am Hofe auslöste. Suan-Jen ertrug des Kanzlers
Anwesenheit nicht mehr und verkündete unter großem Gezeter, den Palast zu
verlassen und sich auf unbestimmte Zeit in ihr Haus am Meer zurückzuziehen.
***
„Du kannst doch zu dieser Jahreszeit nicht
reisen!“ Shenzong sah seine Frau zweifelnd an. „Hast du den Verstand verloren?“
„Den Verstand hast wohl eher du verloren, mein Lieber!“
Shenzong missbilligte diese respektlose Anrede,
wollte sich aber nicht weiter mit ihr anlegen und schwieg.
„Wie kannst du diesem alten Mann so viel Macht geben?“,
keifte Suan-Jen weiter.
„Weib! Ich bin der Kaiser und du hast hier nicht
zu bestimmen, wem ich wie viel Macht gebe. Mein Vertrauen hat er und wenn du
damit nicht umgehen kannst, wird es wirklich das Beste sein, wenn du dich bei
deiner Mutter ein wenig beruhigst. Ich werde dir einen Teil meiner Soldaten
mitgeben, damit du sicher dort ankommst.“
Suan-Jen presste ihre Lippen zusammen. Bis jetzt
war sie immer aus eigener Entscheidung heraus in ihren Heimatort
gegangen. Shenzong hatte sie niemals zuvor derart direkt fortgeschickt.
„Nun gut. Für mich gibt es hier ohnehin nicht
genug Platz“, giftete sie.
***
Die Ehrwürdige Hauptfrau hatte in Windeseile ihre
Kisten packen lassen. Ihre Zofen waren Tag und Nacht mit den Vorbereitungen
beschäftigt gewesen und wir Frauen unter Cheng-Si sahen teils mit Bewunderung,
teils mit Verwunderung, wie viele Habseligkeiten die höchste unter uns Frauen
besaß.
„Neun Kutschen, alleine für ihre Gewänder“,
schüttelte ich fassungslos den Kopf. „Hat sie überhaupt vor, zurückzukehren?“
„Oh ja, das wird sie.“ Shinlan lachte. „Sie ist
auch nicht mehr die Jüngste und es gefällt ihr gar nicht, dass sie Shenzong
noch keinen legitimen Nachkommen geschenkt hat. Und wenn sie fern des Palastes
schwanger werden sollte, wie könnte sie das erklären?“
Cheng-Si schnappte nach Luft. „Wie kannst du so etwas
nur laut aussprechen! Keine Frau am Palast wird so dumm sein, sich ein Kind
eines anderen Mannes unterschieben zu lassen.“
Wie sehr musste ich mich konzentrieren, nicht
knallrot anzulaufen und konnte nur hoffen, dass ich meine unschuldig
dreinblickende Fassade aufrecht erhalten konnte. Wobei: Wieso sollte es eine
Fassade sein? Bis jetzt war nichts passiert; und es sah auch nicht so aus, als
ob sich in nächster Zeit irgendetwas daran ändern würde. Ich wurde noch immer
von Cheng-Si überwacht.
Die Alte hielt ihr Misstrauen mir gegenüber
während der gesamten Herbst- und Wintermonate aufrecht. Erst als der Frühling
seine ersten
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