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Die Geliebte des Normannen

Die Geliebte des Normannen

Titel: Die Geliebte des Normannen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Joyce
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machen, wenngleich Henry eher belustigt schien.
    »Ich denke, mit Mut hat das wenig zu tun.« Henry senkte den Blick. Als er wieder aufschaute, lächelte er erneut, und Mary merkte, wie sie sich anspannte. »Wollt Ihr nicht Euren lieben Bruder kennenlernen, Prinzessin?«, fragte er gedehnt.
    »Meinen Bruder?« Marys Fassung war schlagartig dahin.
    »Oh, verzeiht mir, was für ein dummer Versprecher! Ich meinte natürlich Euren Halbbruder, Duncan, den lieben Freund meines Bruders!« Henry zeigte lachend auf den Mann mit den kastanienbraunen Haaren neben Adele, der ihr irgendwie vertraut vorgekommen war.
    Mary zuckte zusammen. Natürlich befand sich Duncan bei Hofe – man hatte ihn vor fast zwanzig Jahren als Geisel hierher gebracht! Duncan war das älteste Kind ihres Vaters aus dessen erster Ehe. In der Tat musste er etwa so alt wie Rufus sein. Das gemeinsame Aufwachsen erklärte auch, weshalb sie so gute Freunde geworden waren. Und dass sie so gute Freunde waren, bot die Erklärung dafür, warum er als einer der drei Höflinge am Nachmittag so intim mit dem König zusammengewesen war. Mary spürte Aufregung in sich aufsteigen. Sie war nicht mehr allein.
    Duncan stand langsam auf und verbeugte sich leicht. »Endlich«, sagte er, »endlich treffen wir uns. Ich bin überwältigt, Schwester.«
    Jetzt erkannte Mary ihn. Seine Ähnlichkeit mit ihrem Vater war nicht zu leugnen. Seine Worte und sein Ton waren zwar etwas gequält, doch sein Lächeln war warm. Mary erwiderte es. Sie hatte einen wahren Verbündeten am Hof gefunden, einen echten Verbündeten unter so vielen Feinden, ihren fast vergessenen Halbbruder.
    »Komm, Schwester«, sagte er und kam ihr mit ausgestreckten Armen entgegen. »Ein Kuss zwischen lange getrennten Geschwistern.«
    Er beobachtete sie.
    Mary hatte den Ehrenplatz auf dem Podium neben dem König erhalten, und Stephen de Warenne saß zu ihrer Rechten. Anders als am Nachmittag, als sie verschmutzt von dem langen Ritt erschienen war, trug sie nun in einer Zurschaustellung von königlicher Abkunft und Reichtum ihren feinsten Staat. Das goldene, an Saum und Ärmeln türkis und blau bestickte Obergewand ließ ihren Teint strahlend zur Geltung kommen, während ein mit zahlreichen Edelsteinen verzierter goldener Gürtel und ihr mit Saphiren besetztes Diadem ihren Status und ihren Reichtum betonten. Heute konnte man sie für nichts anderes halten als für eine Prinzessin.
    Er beobachtete sie. Sie schien ihren Bräutigam zu hassen, und auch ihren Aufenthalt im Tower. Sie konnte ihr Missfallen nicht verbergen, und darüber war Stephen de Warenne wohl kaum erfreut. Ihr scharfer Verstand war so offenkundig wie ihr tollkühner Mut.
    Ja, sie war Malcolms Tochter, dem Verhalten, wenn auch nicht dem Aussehen nach. Äußerlich ähnelte sie eindeutig Königin Margaret.
    Rufus hatte sie knabenhaft genannt. Sie war klein, aber knabenhaft wohl kaum; eine derart schöne Frau konnte man nicht als knabenhaft bezeichnen. Er bezweifelte, dass ihr Bräutigam sie so sah.
    Er musterte Stephen de Warenne. Den ganzen Abend lang schon hörte de Warenne dem König zu und sprach nur, wenn es notwendig war. Er hatte nicht ein einziges Mal gelächelt. Rufus kümmerte das nicht. Er war lebhaft wie nie zuvor; er hatte sich noch nie so gut gefühlt. Und er war kaum betrunken.
    Stephen de Warennes Blick traf seinen. Duncan wandte sich ab; ein Angstschauder lief ihm über den Rücken. Er hatte de Warenne nie gemocht. Sie kannten sich seit vielen Jahren; obwohl sie altersmäßig ein Jahrzehnt auseinanderlagen, kannten sie einander nur zu gut. Duncan hatte de Warenne immer um dessen Männlichkeit beneidet. Nun, während er ihn auf dem Platz auf dem Podium beobachtete, den normalerweise er einnahm, war er mehr als nur neidisch. Er fühlte sich bedroht. Er sagte sich zwar, dass Stephen de Warenne nicht lange am Hof bleiben würde, aber das tröstete ihn nicht.
    Überhaupt nicht. Bis zur Hochzeit waren es noch drei Wochen, und drei Wochen waren eine gefährlich lange Zeit.
    Noch etwas anderes ärgerte Duncan. De Warenne hatte nie versucht, die Verachtung, die er für ihn empfand, zu verbergen. Bis heute wusste Duncan nicht, ob diese Verachtung darauf beruhte, dass er Rufus' sexuelle Vorliebe teilte, oder ob sie mit seiner politischen Duldsamkeit zusammenhing. Er hatte immer geargwöhnt, dass de Warenne die Wahrheit kannte – dass er tat, was immer er tun musste, um seine weitreichenden Ambitionen voranzutreiben.
    Die Angst, die de Warenne in

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