Die Gerechten
als Zuhälter verdient hatte.
»… die Geschichten scheinen eine besondere Freude an diesen Paradoxien zu haben«, sagte der Rabbi eben. »Heilige in Gestalt bescheidener oder gar sündiger Menschen.«
Will dröhnte der Kopf. Pat Baxter, der verrückte Milizionär, der sich mit bewaffneten Fanatikern herumtrieb – aber der nicht vorbestraft war und einem völlig fremden Menschen seine Niere geschenkt hatte. Gavin Curtis, verachtet als korrupter Politiker, der Gelder an die Ärmsten der Welt umgeleitet hatte. Samak Sangsuk, ein typischer steinreicher thailändischer Geschäftsmann, der in aller Stille dafür gesorgt hatte, dass die Unterschicht von Bangkok im Tode ihre Würde bewahrte.
Will konnte dem Tempo seiner eigenen Gedanken kaum folgen. Er dachte an den merkwürdig bescheidenen Wagen, mit dem Curtis vor der Pressemeute geflüchtet war. Und was hatte Genevieve Huntley gesagt? Mr. Baxters wichtigstes Anliegen war Anonymität. Nichts anderes hat er erbeten für das, was er getan hat. Alle diese Männer hatten Gutes getan – und alle hatten es heimlich getan.
»Und wie viele dieser Gerechten gibt es?«
Der Rabbiner sah TC an. »Das weißt du nicht? Das hat du vergessen?«
»Ich habe es nicht vergessen, Rabbi Mandelbaum. Aber Will soll es von Ihnen hören. Alles.«
»Es gibt sechsunddreißig Zaddikim in jeder Generation. Sie wissen vielleicht, dass im Hebräischen jeder Buchstabe auch einen numerischen Wert hat? Im Hebräischen wird sechsunddreißig durch die Zeichen lamed, das englische L, und vav, das englische V, dargestellt. Lamed ist dreißig, und vav ist sechs. Im Jiddischen sind die Gerechten bekannt als Lamedvavniks-. die sechsunddreißig Männer, die die Welt aufrecht halten.«
Will zuckte zusammen, seine Antennen schlugen an wie auch sonst bei Worten, die eine Story für die Zeitung bedeuteten.
»Verzeihung, aber was meinen Sie mit ›aufrecht halten‹?« Er sah, dass TC nickte, und ihr Lächeln schien zu sagen: Endlich kommen wir zum Kern der Sache.
»Ah. Nun, das ist der ganze Sinn dieser Geschichte. Es tut mir Leid, Mr. Monroe, ich werde alt. Ich hätte es von vornherein sagen sollen. Bitte lassen Sie mich vorbei.« Der Rabbiner griff zu einem anderen Buch, einem der wenigen englischen Bücher in diesem Raum.
»Wir wollen sehen. Am besten fangen wir hier an. Es ist von Gershom Scholem, einem hervorragenden Gelehrten. Aus der Aufsatzsammlung Zum Verständnis der messianischen Idee im Judentum …« Will zappelte innerlich. Mach schon, dachte er. Aber er nickte höflich und machte große Augen, um den Rabbiner zu ermutigen, die akademischen Fußnoten beiseite zu lassen und ihm einfach zu sagen, was er wissen musste.
»Ah ja, da ist es. Scholem sagt, die jüdische Überlieferung spricht von ›sechsunddreißig Zaddikim, auf deren Schultern – obgleich sie unbekannt oder verborgen sind – das Schicksal der Welt ruht‹.« Sein Blick wanderte auf der Seite nach unten. »›Schon in den Sprüchen Salomos lesen wir, dass der Gerechte ein Fundament der Welt ist und sie daher sozusagen aufrecht hält.«‹
»Moment, Rabbi Mandelbaum.« TC saß plötzlich ganz vorn auf der Stuhlkante. »Wo in den Sprüchen steht das?«
Langsam blätterte der Rabbiner eine Seite zurück und sagte dann: »Im Buch der Sprüche, Kapitel zehn, Vers fünfundzwanzig.«
TC holte den kleinen Stapel Post-its aus ihrer Tasche, auf denen sie die Bibelverse notiert hatte. Sie blätterte darin, und als sie gefunden hatte, was sie suchte, reichte sie Will lächelnd den Zettel.
Vers 25: Der Gottlose ist wie ein Wetter, das vorübergeht und nicht mehr ist; der Gerechte aber ist wie ein dauerndes Fundament.
»Ein Fundament«, sagte sie leise und sah Will an. »Die Gerechten sind das Fundament, auf dem die Welt steht. Ohne sie stürzt die Welt ein.«
»Tova Chaya hat es gut zusammengefasst. Es gibt einige Diskussionen über den Ursprung dieser Idee. Manche Gelehrte glauben, sie gehe auf Abrahams Streit mit dem Allmächtigen um das Volk von Sodom zurück.«
TC sah Will an, dass er von diesem Streit nichts wusste, und dass Rabbi Mandelbaum nicht vorhatte, näher darauf einzugehen. Sie schaltete sich ein. »Es geht darum, dass Gott beabsichtigte, die Stadt Sodom zu vernichten, weil sie der Sünde verfallen war«, sagte sie halb flüsternd; sie wollte es schnell hinter sich bringen und keine Nebendiskussion mit ihrem alten Lehrer eröffnen. »Abraham will einen Handel schließen: Er schlägt vor, wenn er, Abraham, fünfzig
Weitere Kostenlose Bücher