Die Gerechten
die schwarze Kippa auf den Kopf stülpte. Er sah jedenfalls aus wie ein Unschuldsengel, aber vielleicht verstellte er sich nur sehr geschickt.
Will dachte an ihre Unterhaltung in dem Restaurant. Er hatte geglaubt, Sandy aufs Körn zu nehmen, aber vielleicht war es ja andersherum gewesen. Vielleicht war dieser »Sandy« ihm gefolgt, seit er nach Crown Heights gekommen war, und hatte dafür gesorgt, dass er im richtigen Augenblick allein im Marmerstein’s gesessen hatte? Das wäre so schwierig nicht. Waren diese Leute nicht berühmt für ihren Listenreichtum …?
Will bremste sich. Er sah, was passierte: Er geriet in Panik und ließ zu, dass ein roter Nebel seinen Blick verschleierte, während er dringend einen klaren Kopf behalten musste. Mit vermoderten alten Vorurteilen würde er Beth nicht retten, ermahnte er sich streng. Sei geduldig, bleib höflich, und du wirst die Wahrheit finden.
Sie gingen auf einen Sprung zu Sandy nach Hause. Will vermutete, dass man ihm dieses Haus einfach zugewiesen hatte: Es war in einem Stil eingerichtet, der zu ihrer Großvätergeneration gepasst hätte. Die weißen Kunststoffschränke dürften in den siebziger Jahren modern ausgesehen haben, und der Linoleumboden schien aus der Kennedy-Ara zu stammen. In der Küche waren zwei Spülbecken, und in der Ecke hing ein großer, industriemäßig aussehender Boiler mit einem eigenen Wasserhahn. An jeder Wand hingen Fotos des Mannes, den Will inzwischen als den Rebbe kannte.
Nur das Wohnzimmer wies darauf hin, dass hier ein junges Paar zu Hause war. Es wurde von einem Laufstall beherrscht, und überall lag rotes und gelbes Plastikspielzeug herum. Mittendrin saß ein kleiner Junge und schob einen Kipplaster hin und her. Am Rand einer sehr einfachen Couch saß eine Frau, die einem Baby das Fläschchen gab.
Plötzlich überfiel Will ein Gefühl, das er nicht erwartet hatte: Neid. Zuerst dachte er, er beneide Sandy darum, dass sein Heim intakt und seine Frau in Sicherheit war. Aber darum ging es nicht. Er beneidete die Frau, weil sie Kinder hatte. Dies war eine völlig neue Wahrnehmung, aber in diesem Moment wollte er wie in Vertretung für Beth das Baby und den kleinen Jungen haben. Er sah sie mit Beths Augen, als die Kinder, die sie sich so sehr wünschte. Vielleicht begriff er zum ersten Mal ihre Sehnsucht. Nein, es war mehr. Er empfand sie selbst.
Das Haar der jungen Frau war von einer kleinen weißen Haube bedeckt, die kein bisschen schmeichelhaft aussah. Darunter war die gleiche Pagenfrisur, die alle Frauen hier in Crown Heights zu tragen schienen.
»Das ist Sara Leah«, sagte Sandy flüchtig und ging zur Treppe.
»Hi, ich bin Tom.« Will streckte ihr die Hand entgegen. Sara Leah wurde rot und schüttelte den Kopf, ohne ihm die Hand zu geben. »Sorry«, sagte Will. Offenbar gingen die Sittsamkeitsvorschriften für Frauen über simple Bekleidungsregeln hinaus, und sie durften Fremde weder anschauen noch berühren.
»Okay, dann gehen wir jetzt zur schull«, rief Sandy und kam polternd die Treppe herunter. Er musterte Will. »Die brauchen Sie nicht«, sagte er und deutete auf die Tasche, die Will über der Schulter trug.
»Das ist schon okay, ich nehme sie mit.« Die Tasche enthielt seine Brieftasche, den Blackberry und – was das Wichtigste war – sein Notizbuch.
»Tom, ich möchte nicht, dass Ihnen in der schul etwas lästig ist. Wir haben Schabbes, und am Schabbes tragen wir nichts.«
»Aber da sind nur Schlüssel drin, Geld und so weiter.«
»Ich weiß, aber wir tragen diese Dinge nicht bei uns in der schul oder am Freitagabend.«
»Keinen Hausschlüssel?«
Sandy zog das Hemd hoch und ließ seinen Hosenbund sehen. An einer Gürtelschlaufe hing eine Schnur mit einem einzelnen silbernen Schlüssel. Will überlegte hastig.
»Sie können Ihre Tasche hier lassen. Ich hoffe, Sie essen das Schabbesmahl mit uns; dann können Sie sie ja wieder mitnehmen.«
Will war einverstanden. Er legte die Tasche ab und konnte nur hoffen, dass Sara Leah nicht hineinschauen würde: Ein Blick auf seine Kreditkarten, und sie würde wissen, dass er nicht Tom Mitchell war, sondern Will Monroe, und dann wäre nicht viel Detektivarbeit nötig, um herauszufinden, dass er der Ehemann der entführten Frau war, von der alle diese Leute sicher wussten. Sie würde den Rebbe oder seine Handlanger alarmieren, und dann würden sie ihn in ein Verlies sperren, genau wie Beth.
Beruhige dich, das wird nicht passieren. Alles wird gut gehen. »Okay, ich lasse sie
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