Die Gilde von Shandar: Die Spionin
seiner Geschichten unterbrochen worden war, und Reynik schien verwirrt. Der junge Soldat blickte zu Sidis hinüber, als ob er von ihm wissen wollte, ob er auf sie hören oder sie ignorieren sollte. Der Einzige, der aufmerksam wirkte, war Phagen. Die Unhöflichkeit der anderen schien ihm peinlich zu sein. Er sagte zwar nichts, aber als er sie anblickte, blitzte Zorn in seinen Augen auf.
»Gut, Männer, ich mache es kurz. Wenn wir in die Stadt kommen, werden wir sogleich zum Palast gehen. Fragt nach dem Weg, wenn es nötig sein sollte, aber lasst euch nicht in ein Gespräch verwickeln. Haltet Kopf und Augen so weit wie möglich geradeaus. Wir müssen den Eindruck von Disziplin und Zielstrebigkeit erwecken. Ich muss euch nicht sagen, dass wir im Namen des Kaisers hier sind, um mit dem König dieses Landes zu sprechen. Ich bin nicht die einzige Botschafterin hier. Jeder Einzelne von uns steht heute vor dem Volk von Thrandor, also sollten wir sie sehen lassen, dass wir es ernst meinen. Sidis, Kalheen und Phagen werden mich zur Audienz beim König begleiten. Reynik, wenn es dir möglich ist, den Palast zu verlassen, gehst du in die Stadt und erledigst unsere Einkäufe, wie wir besprochen haben. Haltet bitte Augen und Ohren offen. Alle Informationen, die wir über diese Menschen und ihre Gebräuche sammeln können, sind für den Kaiser wertvoll. Wir sind hier nicht auf einer Mantel- und Degenmission, also tut nichts Unüberlegtes. Ist jedem klar, was er zu tun hat?«
Die Männer nickten und Femke sah sie der Reihe nach an. Sie erwiderten ihren Blick so zuversichtlich, dass sie zufrieden war.
»Dann mal los, Männer, besuchen wir den König von Thrandor.«
Die beiden Soldaten wendeten ihre Pferde und ritten voraus. Reynik ließ die weiße Unterhändlerfahne über seinem Kopf im Wind flattern. Femke nahm ihren Platz direkt hinter ihnen ein und die beiden Diener folgten mit der kurzen Reihe der Packpferde.
Die Thrandorianer waren neugierig, als sie sahen, dass Leute aus Shandar ihre Stadt im Schutz der weißen Flagge besuchten. Sobald sie vor dem Tor ankamen, folgten ihnen alle Augen. Die Wachen wollten Femke und die anderen nur ungern ohne eine Eskorte in die Stadt lassen. Sie bestanden darauf, dass Sidis und Reynik ihre Waffen abgaben, bevor sie eintraten, doch darauf war Femke vorbereitet gewesen. Die beiden Soldaten übergaben widerspruchslos ihre Schwerter und Bogen. Dann mussten sie kurz warten, während die thrandorianischen Soldaten losliefen, um vier Berittene zu suchen, damit sie die Gruppe aus Shandar begleiten konnten.
Das letzte Stück durch die Stadt zum Palast dauerte eine Weile. Die Pferde schritten zwar stetig aus, aber die Stadt erstreckte sich über den ganzen Hügel, auf dessen Gipfel der Palast lag. Femke hielt den Kopf die ganze Zeit über geradeaus, aber sie ließ ihre Augen hin und her schweifen und sammelte im Geiste Informationen über die Anlage der Stadt.
Die Hügelbebauung von Mantor unterschied sich von Shandrim. Das Verhältnis von Reichtum und der Lage der Häuser am Hang machte es einfach, die Klassenunterschiede festzustellen. Je höher sie stiegen, desto luxuriöser wurden die Bauten. Femke fragte sich, wie das die finsteren Bewohner der Stadt wohl fanden. Diebe wussten sofort, wo sie die meiste Beute machen konnten, aber man konnte auch davon ausgehen, dass, wenn die Militärpatrouillen in den höheren Regionen der Stadt jemanden aufgriffen, der dort nicht hingehörte, man ihm automatisch die Schuld an allen Verbrechen zuschieben würde, die dort begangen worden waren. Es war ganz anders als in Shandrim, wo Reich und Arm in allen Stadtvierteln nebeneinander wohnten. In der Hauptstadt von Shandar konnte man häufig arme Leute sehen, die durch die Straßen der Reichen gingen. Mantors Struktur hatte Vorteile, um die Ordnung aufrechtzuerhalten, aber Femke fand die Anlage fremd und verwirrend.
Am Gipfel des Hügels sah Femke drei Männer in einem der größeren Häuser verschwinden. Einen Moment lang hätte sie schwören können, dass der mittlere davon Shalidar gewesen war. Sie erschauderte, bevor ihr der gesunde Menschenverstand sagte, dass die Chance, dass sich Shalidar in Mantor befand und dann auch noch gerade vor Femkes Nase entlangspazierte, äußerst gering war. Die Ähnlichkeit war bemerkenswert, aber es musste ein Zufall sein. Als der Mann und seine Begleiter im Gebäude verschwanden, schalt sich Femke selbst wegen ihrer Nervosität.
»Konzentrier dich, Femke«, befahl sie sich
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