Die Glaszauberin pyramiden1
sich ihrer Macht hingegeben hatte. Weder Yaqob noch Isphet hatten sich durch diese Hingabe erniedrigt, sondern bereichert.
Vereinige dich mit uns, riefen sie, und ich tat es.
Die Soulenai hüllten mich ein, brannten durch mich hindurch. Die Farben wirbelten in einer unvorstellbaren Geschwindigkeit, und ihr wirbelnder Sog bannte mich genauso wie die Anwesenheit der Soulenai.
Sie erzählten mir von unvorstellbaren Dingen, von Leben und Erfahrungen jenseits allem Denkbaren. Und sie waren so sanft. Eine solche Sanftheit hatte ich nicht erwartet, solche Zärtlichkeit. Sie berührten mich und erforschten mich und ermunterten mich, sie zu berühren und zu erforschen. Meine ersten zögerlichen Versuche ließ sie leise lachen, und ich schrie auf vor Überraschung und in einer weit entfernten Welt fühlte ich, wie Yaqob mich stützte und hielt.
Tirzah, du bist uns willkommen. Nähre uns, und wir werden dich nähren. Diene uns, und wir werden dir dienen.
Ja, rief ich, und sie nahmen mich an.
Meine Freunde. Das war wieder Isphet, die da sprach. Heute kommen wir aber auch voll Trauer zu euch. Unsere Freundin und eure Dienerin Raguel …
Raguel, flüsterten sie.
Vor vielen Wochen wurde Raguel ihr Kind weggenommen. Doch erst heute wagen wir es, uns an euch zu wenden und um eure Hilfe zu bitten, das Kind auf seinen Weg zu der Zuflucht im Jenseits zu bringen.
Ihre Trauer durchfuhr mich, aber ich gewöhnte mich an ihr Eindringen in meinen Körper und meinen Geist, und diesmal schrie ich nicht auf. Ich fühlte, wie Yaqob, der so sanft wie die Soulenai war, Freude ausstrahlte, weil ich ihre Berührung zuließ.
Dann trat wieder eine Änderung ein. Isphets Hände fuhren über das wirbelnde Glas, doch diesmal warf sie kein Metall hinein, sondern duftendes Harz, und als es auf das kreisende Glas auftraf, fing es an zu qualmen, und berauschender Rauch hüllte uns ein. Ich atmete tief ein, meine Hände bewegten sich aus eigenem Antrieb und fächelten das Räucherwerk meinem Gesicht zu.
Und durch den Rauch erhaschte ich einen Blick auf die Zuflucht im Jenseits.
Was ich sah, kann ich kaum in Worte fassen. Die Zuflucht war ein weites Land und bot dennoch Wärme und Nähe. Es wurde von einem so allumfassenden Frieden erfüllt, daß Wut, Eifersucht und Krieg nicht einmal mehr als Worte existierten. Sie waren unbekannt geworden, unvorstellbar. Ich sehnte mich danach, dieses wunderbare Land betreten zu können.
Gebt uns das Kind.
Wieder veränderte sich etwas, aber diesmal waren es Raguel und Yaqob, der den Druck seiner Hände um mich verstärkte.
Ich sah alles wie in einem Traum, gefangen vom Räucherwerk und der Hingabe an die Soulenai.
Raguel bückte sich, hob etwas vom Boden auf.
Ein trauriges, kleines, fest eingewickeltes Bündel. Es war nur eine kleine Geste, eine schnelle Bewegung, aber mich durchfuhr eine unaussprechliche Traurigkeit, als das Bündel auf das geschmolzene Glas traf. Die Farben spritzten auf – allein die Anwesenheit und die Gunst der Soulenai verhinderten, daß uns Tropfen trafen.
Das Bündel flammte auf. Im nächsten Moment war es verschwunden, vergangen – aber dann hörte, fühlte ich das kleine Mädchen.
Sie war jetzt bei uns, berührte uns, wie es die Soulenai taten, ihre Gegenwart war ein sanftes Gefühl des Staunens.
Ich weinte, und ich wußte, daß Raguel ebenfalls weinte, und die Soulenai trösteten uns beide, und das Kind lachte, und alles war wieder gut.
Sie blieb nicht lange. Die Soulenai nahmen sie mit in die Zuflucht. Als sie fort waren, empfand ich einen solch überwältigenden Verlust in mir, daß ich aufstöhnte, die Augen schloß und gefallen wäre, wenn Yaqob mich nicht aufgefangen hätte.
Lange Zeit bewegte sich oder sprach niemand.
Schließlich fühlte ich, wie Isphet mein Gesicht in ihre Hände nahm, und ich schlug die Augen auf. Sie lächelte.
»Willkommen bei uns, Tirzah. Du bist eine geborene Elementistin, und jetzt bist du von den Soulenai aufgenommen worden. Was wir heute getan haben, war einfach, nur eine erste Annäherung. In den kommenden Monaten werde ich dich tiefer in die Magie der Elemente einführen. Ich glaube, du bist zu Großem ausersehen, denn deine Fähigkeiten sind erstaunlich, und wenn wir die Pyramide und all das Böse besiegen wollen, was in ihr ist, dann glaube ich, daß wir dich dringend brauchen.«
8
Acht oder neun Monate vergingen. Kurz nach meiner Einführung in die Künste der Elementisten wurde ich zwanzig, und ich ließ das
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