Die goldene Königin
Wegstunde. Aber ich bin zu Fuà unterwegs, weil meine Eselin sich bei schlechtem Wetter an ihrem Seil erwürgt.«
»Kommt in meinen Wagen«, forderte Marguerite sie energisch auf. »Dort werdet Ihr Euch erst einmal trocknen, und dann unterhalten wir uns. AnschlieÃend setzen wir Euch zu Hause ab.«
Verblüfft nickte das Mädchen und nahm den Vorschlag der Duchesse dâAlençon, ohne zu zögern, an.
»Wirst du dich ohne dein Boot nicht langweilen?«, fragte Charlotte.
Die Flussschifferin lachte, und die Kleine tat es ihr gleich. Als Marguerite sie zur Kutsche führte, steckte das Mädchen den Daumen in den Mund und lutschte daran. Dann stiegen sie zu Blanche in den Wagen, die sich dort bereits eingerichtet hatte.
Charlotte hatte die schalkhaften Augen ihres Vaters geerbt. Sie beobachtete scharfsinnig alles, was um sie herum geschah. Das Grau ihrer Augen hatte sie allerdings von Marguerite. Mit ihren fünf Jahren zeigte sie bereits einen wachen Geist und ein sonniges Gemüt. Sie war ein hübsches kleines Mädchen, das über viele Vorzüge verfügte.
Marguerite, die nach drei Jahren Ehe noch nicht den Keim einer Mutterschaft in sich trug, interessierte sich sehr für die Sprösslinge ihres Bruders. Nach den zwei Mädchen kam François, der kleine Henri war noch ein Säugling.
»Verlieren wir keine Zeit. Fahren wir, Jean-Baptiste«, befahl Marguerite und nahm die Hand der Flussschifferin. »Unterwegs unterhalten wir uns ein bisschen.«
Es kündigte sich ein kalter, harter Winter an, seit einigen Tagen regnete es unaufhörlich. Die StraÃen waren aufgeweicht, und die überschwemmten Weinberge boten ein trauriges Bild.
Den ganzen Tag gewitterte es. Das Land wirkte wie erstarrt. Der Tross zog an unpassierbaren Brücken vorbei, aber zum Glück musste man nicht den Fluss überqueren.
Plötzlich kam ein heftiger Sturm auf, der Bäume umknickte und Kutschen umwarf. Himmel und Fluss verschmolzen, und der Horizont löste sich auf. Es kam nicht infrage, dass sie nach Amboise weiterreisten. Sie mussten in Chaumont haltmachen, die bis auf die Knochen durchnässten Pferde trocknen und die beschädigten Kutschen instandsetzen.
»Ich weià nicht, wie ich Euch für Eure Freundlichkeit danken soll«, sagte die Schifferin, während sie Charlotte beobachtete, die die Vorhänge zur Seite schob, um besser beobachten zu können, wie das Unwetter das Land verwüstete.
»Diese Mönche«, antwortete Marguerite lachend, »werden es schwer haben, zurück in ihre Abtei zu gelangen. Sie sollten uns dankbar sein, dass wir sie gerettet haben. Ich bin sicher, dass sie Euch keinen Ãrger mehr bereiten werden.«
An der Kreuzung des Waldes, der an Chaumont grenzte, kam ihnen ein Bote entgegen. Er galoppierte mit hoher Geschwindigkeit auf sie zu, und der starke Wind, der ihm auf den Rücken peitschte, schien sein Tempo noch zu verdoppeln.
»Was gibt es?«, fragte Marguerite.
Sie rief dem Kutscher zu, er solle anhalten. Inzwischen erreichte der Fluss bereits die StraÃe. Der Reiter galoppierte durch die Pfützen, hielt an und sprach eine Weile mit Jean-Baptiste.
»Die Wagen der Dame de Châteaubriant stecken in Schwierigkeiten«, rief der Kutscher der Duchesse dâAlençon zu.
Einen Augenblick beschleunigte sich Marguerites Herzschlag. Dann war es François also gelungen, die Dame, die er schon so lange begehrte, endlich zum Kommen zu bewegen.
Sie lächelte. Während der junge König sich von seiner Mutter und seiner Schwester groÃzügig in Staatsangelegenheiten beraten lieÃ, regelte er seine Herzensangelegenheiten aufs Vorzüglichste selbst. Noch nie hatte Marguerite ihn dazu bewegen können, seine Liebesaffären zu überdenken. Vielmehr nötigte er sie, hübsche Gedichte zu verfassen, die er seinen Angebeteten zukommen lieÃ.
»Nun gut«, sagte sie, »wir müssen ihr helfen. Sind es mehrere Kutschen? Stecken sie in Chaumont fest?«
»Sie können nicht weiterfahren, Dame la Duchesse. Es sind zwei Kutschen und ein paar Pferde.«
»Folgen wir ihm zu den Wagen! Wir können ihnen zweifellos helfen.«
Obwohl der Wind gegen die Kutschen drückte, und trotz des sintflutartigen Regens, der die Pferde behinderte, erreichte der Tross von Marguerite rasch den der Duchesse de Châteaubriant.
Eine Kutsche steckte in einer morastigen Böschung fest,
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