Die Haischwimmerin
sind also Epstein.«
»Richtig.« Epstein setzte sich und gab einer vorbeilaufenden Kellnerin ein Zeichen, indem er die Form eines Glases in die Luft zeichnete und dazu »Czerwony« sagte. In der Folge öffnete er den Mantel, was so aussah, als präsentiere ein Schuppentier eine senkrechte Lücke in seinem Panzer. Aus dieser Lücke zog er eine Mappe hervor, die er vor Ivo auf den Tisch legte.
Ivo betrachtete eine Weile die lederne Hülle, auf der ein altes goldenes Wappen aufgedruckt war, dann schlug er den Deckel auf. Im Inneren befanden sich mehrere Tickets für seine Flugreise via Moskau und Chabarowsk nach Ochotsk. Dazu Bilder von der Gegend, einige Karten, die Bestätigung, daà die vereinbarte erste Zahlung auf sein Konto eingegangen sei, sowie Kopien diverser Skizzen, die wohl jene bislang unbekannte und unbenannte Varietät einer Dahurischen Lärche darstellten und einen recht begabten Zeichner verrieten. Zuletzt ein Photo, auf dem ein Haus zu sehen war, eine Hütte, oben auf einem Hügel stehend. Jedoch ohne Hinweis, was es mit diesem Blockhaus auf sich hatte.
Dieses Konvolut erinnerte Ivo ein wenig an jene Berichte von Seeschlangen und Schneemenschen, wo es immer nur Augenzeugenberichte, Graphiken oder verwackelte Filme gibt, wenn Photos, dann verschwommene, wenn gestochen scharfe, dann welche, die alles mögliche zeigen, nur nicht eine Seeschlange oder einen Schneemenschen. Ja, neuerdings geschahen sogar mittels Google Earth dubiose Sichtungen.
Kann es denn so schwer sein, eins dieser Wesen in derselben präzisen Weise in die Linse zu bekommen wie Haustiere und Schifahrer und Damen im Bade? Nun, offensichtlich schon. Was aber beweist das? Daà ein Betrug vorliegt, eine Fälschung?
Unternahm er diese Reise, um eine Fälschung zu entlarven?
Was ist überhaupt eine Fälschung? In der Regel die Kopie eines Originals. Oder ein Notnagel, und zwar so lange, bis endlich ein Schneemensch sich dafür hergibt, in ähnlicher Weise wie all die photosüchtigen Alpinisten und Damen im Bade zu posieren.
Ivo sah auf und meinte: »Ich hatte erwartet, man würde mir einen Laptop auf den Tisch stellen, wo dann alles gespeichert ist, was ich wissen muÃ. Dazu die Laborberichte und ein Iridium-Satellitentelephon.« *1
»Keine Ahnung«, sagte Epstein. »Ich soll das hier übergeben. Ich habe es übergeben. Der Tag ist schön.«
»Finden Sie, daà das ein schöner Tag ist?«
»Ich meinte, ich wünsche einen schönen Tag.« Er trank sein Glas in einem Zug aus, schob die Schuppen seines Panzermantels wieder ineinander, erhob sich und trat nach drauÃen, wo er augenblicklich von heftigstem Gestöber verschluckt wurde. Echt Nebenfigur!
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Ivo Berg blieb noch eine Weile. Er wartete so lange, bis die Wirbel sich eingebremst hatten und man wieder etwas vor der Hand sehen konnte, das nicht an jenes verlorene Schiff auf William Turners Gemälde Schneesturm auf dem Meer erinnerte.
Chancenlos allerdings war er gegen das Wasser, das in seine dünnen Schuhe drang, als er zurück zum Hotel ging. Dort angekommen, legte er sich ins Bett, wickelte seine FüÃe ein und ergab sich einem zweistündigen Schlaf, aus dem er mit einer verstopften Nase und dem für ihn irritierenden Bedürfnis nach Alkohol erwachte. Er fragte sich, inwieweit dies der Warschauer Luft zu verdanken war, und nahm etwas Homöopathisches zu sich, Arsenicum album, ein Mittel, auf das er süchtig geworden war. Dabei entsprach er gar nicht dem zu übertriebener Perfektion neigenden Arsentypus, der mittels rechter Winkel, des Geradehängens von Bildern und des ständigen Händewaschens das Chaos in der Welt zu bekämpfen versuchte. Dennoch war Ivo Berg auf das weiÃe Arsen gestoÃen, im Zuge eines Verdachts auf Heuschnupfen, und nicht wieder davon losgekommen. Vielleicht war es allein der Name, der ihn so anzog. Das gibt es. Belladonna etwa wird von vielen Menschen allein des hübschen Namens wegen eingenommen. Den Klang des Namens im Ohr, erfolgt die Heilung.
Ivo Berg rauchte nicht, trank selten, war in der denkbar besten körperlichen Verfassung und schluckte Arsenicum album wie andere Traubenzucker. Und wenn man nun berücksichtigte, daà Ivo seine ersten Lebensjahre ja nicht in Wien, sondern an einem kleinen Ort im Ennstal zugebracht hatte, dann ergab sich eine gewisse Verbindung zum Phänomen der sogenannten Arsenikesser
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