Die Hand am Sack: schwule erotische Geschichten (German Edition)
Papierschneider gebracht und mir einen tiefen Schnitt am rechten Mittelfinger zugezogen. Rings um den Schneidetisch hatte es ausgesehen wie auf einem Schlachthof, alles voller Blut. Eine Szenerie wie aus einem Horrorfilm.
Eine Kollegin, die aktiv beim Roten Kreuz mitarbeitete, leistete mir Erste Hilfe und legte mir fachmännisch einen Verband an, wohl insgeheim entzückt darüber, dass sich endlich Gelegenheit bot, ihre immer nur an Gummipuppen geübten Fähigkeiten endlich am lebenden Objekt unter Beweis stellen zu können. Nichtsdestotrotz meinte sie, die Wunde müsste genäht werden. Also fuhr mich ein Kollege zum nächstgelegenen Krankenhaus, eben jenes, wo Bruno seinen Dienst tat.
Nach Erledigung des Papierkrams, das Blut sickerte inzwischen durch den Verband, wurde ich in die Notaufnahme geführt und musste mich dort auf einen Operationstisch legen. Merkwürdigerweise blieb ich völlig ruhig. Erst als von einer Schwester der Verband abgenommen und die Wunde gesäubert wurde, verspürte ich Schmerzen, die jedoch bald durch eine örtliche Betäubung gelindert wurden. Und dann erschien er, der Doktor. Groß, breitschultrig, kurz gestutzter Vollbart, goldene randlose Brille, strahlend, die Haarmähne eines Löwen und die Augen einer Wildkatze, so trat er an den OP-Tisch. Der weiße Kittel mit dem runden Kragen verstärkte den Kontrast zu seiner sonnengebräunten Haut, und ich konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Vom ersten Moment an herrschte eine Spannung zwischen uns, die mir ein flaues Gefühl im Magen verursachte. Der Kerl gefiel mir. Sein Grinsen war herausfordernd und fragend zugleich. Als er meine Hand ergriff, um sich die Wunde anzusehen, lief mir ein wohliger Schauer über den Rücken. Seine Finger fühlten sich warm und kräftig an.
»So wie es aussieht, besteht kaum eine Überlebenschance«, flachste er. Die Krankenschwester blickte erst erschrocken, dann erstaunt. Offenbar war sie dererlei Scherze von ihrem Doktor nicht gewohnt. Ich schmunzelte nur, während unsere Blicke aneinanderhingen, neugierig, hungrig, fragend und antwortend zugleich. Mir wurde heiß und kalt, und ohne ein Wort zu verlieren, wussten wir beide, was die Stunde geschlagen hatte.
Die Operation dauerte nur ein paar Minuten, doch mir kam es wie eine Ewigkeit vor. Mit fünf Stichen wurde die Wunde genäht, wobei ich nur ein weit entferntes Kribbeln am Finger spürte, einem Körperteil, der nicht zu mir gehörig schien. »So«, meinte er, nachdem er die Fäden verknotet hatte, »jetzt können wir nur noch hoffen und beten!«
Die Schwester lachte inzwischen verständnisvoll, während ihr Blick schmunzelnd zwischen ihrem Doc und mir hin- und herwanderte.
Anschließend gab es noch weitere Formalitäten zu erledigen, einen kurzen Bericht für meinen Hausarzt, den ich zwei Tage später zum Nachsehen und wiederum eine Woche darauf zum Fädenziehen aufsuchen sollte. Dann reichte mir der Doktor ein Röhrchen Tabletten für den Fall, dass ich Schmerzen bekäme, wenn die Wirkung der Spritze nachließ.
Als er sich erhob, schluckte ich betroffen und startete einen letzten Versuch: »Kann ich zum Fädenziehen nicht zu Ihnen …? Ich meine …«
Wieder dieses überhebliche Grinsen, während er mir geduldig erklärte, dass für die weitere Behandlung der Hausarzt zuständig wäre. Ich brachte kein Wort mehr heraus, reichte ihm nur schweigend die linke Hand zum Abschied. Ein Gefühl, als steckte mir ein Kloß im Hals und ein zentnerschwerer Stein in der Brust, ließen meine Zunge erlahmen. Das sollte also das Ende sein. Der Doktor begleitete mich noch zur Tür und wandte sich dann ab. Aus der Traum. Mein Kollege, der im Vorzimmer auf mich gewartet hatte, meinte, ich sähe bleich aus und fragte besorgt, ob ich Schmerzen hätte und ob ich überhaupt Autofahren könnte.
»Mit was?«, fragte ich betreten.
»Na, mit dem Finger!«
Ich betrachtete den Verband. An den Finger dachte ich schon nicht mehr. Was war eine kleine Schnittwunde gegen ein blutendes Herz!
Zwei Tage später, ich war inzwischen krankgeschrieben, denn arbeiten konnte ich mit dem Verband an der rechten Hand nicht, rief mich der Doktor zuhause an.
»Na, wie geht’s?«
Ich fragte ihn, ob er sich bei jedem seiner Patienten persönlich nach dessen Befinden erkundigte. Als er das rundweg verneinte und ich nachhakte, warum er es dann ausgerechnet bei mir täte, lachte er nur und stotterte eine Weile herum.
»Ich weiß nicht. Vielleicht, weil Sie ein besonders hoffnungsloser Fall
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